Zur Person

Die Journalistin Taghreed El-Khodary arbeitet für die „New York Times“ im Gazastreifen. der Standard erreichte sie telefonisch in Gaza-Stadt.

Foto: privat
Die Hamas geht trotz ihrer schweren Verluste gestärkt aus den Kämpfen mit der israelischen Armee hervor, sagt die im Gazastreifen tätige Journalistin Taghreed El-Khodary zu András Szigetvari. Denn die Hamas profitiere immer von Krisen.

***

STANDARD: Wie haben Sie die vergangenen Tage im Gazastreifen, die israelische Offensive erlebt?

El-Khodary: Im Flüchtlingslager Djebalya war es unglaublich, und zwar noch bevor die Offensive überhaupt begonnen hat. Kämpfer haben dort die Felder dazu genützt, Raketen auf Israel abzufeuern. Als Israel dann antwortete, taten sie das ohne Rücksicht auf die Zivilisten.

Eine Familie hat drei ihrer Kinder verloren, alle zwischen acht und zwölf Jahren. Die Kinder spielten Fußball, als die israelische Rakete einschlug, obwohl die Raketen auf Israel von einem etwas weiter entfernten Feld abgefeuert wurden. Und dann hat Israel die Bodenoffensive gestartet. In Djebalya mussten die Familien zwei Tage in ihren Häusern bleiben: Es gab keinen Strom, weil die Israelis die Infrastruktur zerstört haben – die Telefone funktionierten nicht.

STANDARD: Machen die Menschen in Gaza nur Israel für die Gewalt verantwortlich oder auch die Hamas, die Israel mit Raketen beschießt?

El-Khodary: Die Menschen im Gazastreifen sind so unglaublich wütend auf Israel. Die Leute fühlen sich unter einem Besatzungsregime. Israel gibt der Hamas keine Chance, so reden viele. Dann gibt es aber wieder andere, die auf Israel und die Hamas wütend sind. Sie wissen, dass beide Seiten ein Spiel spielen: Die Hamas versucht Israel mit den Angriffen zu einem Waffenstillstand zu bewegen, sie wollen, dass Israel einlenkt und die Grenzen des Gazastreifens öffnet. Israel lehnt das ab.

STANDARD: Haben die Kämpfe die Hamas gestärkt oder geschwächt?

El-Khodary: Ich war auf einer Demonstration der Hamas. Ich habe eine Frau gefragt, warum sie die Hamas unterstützt. Sie hat geantwortet: Weil die Hamas hier ist, weil sie die Schreie meiner Kinder hören. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas dagegen ist weit weg in Ramallah, er hört meine Kinder nicht.

STANDARD: US-Außenministerin Condoleezza Rice ist derzeit in der Region und versucht die Verhandlungen zwischen Abbas und den Israelis wiederzubeleben. Interessiert das irgendjemanden in Gaza?

El-Khodary: Nein, niemanden. Das Problem ist, dass es keine Alternative für die Palästinenser gibt: Es gibt nur die Hamas und die Fatah. Und die Hamas gewinnt immer, wenn es eine Krise gibt. Wissen Sie, was die Hamas gerade in Djebalya tut? Sie reparieren die zerschossenen Häuser, sie putzen die Straßen. Sie gehen zu den Menschen.

STANDARD: In Israel wird inzwischen sogar die Wiederbesetzung des Gazastreifens diskutiert. Was, glauben Sie, passiert als Nächstes?

El-Khodary: Es ist noch nicht vorbei. Israel hat sich zurückgezogen, aber die F-16-Kampfflieger hört man immer wieder über Gaza. Sie werden Luftschläge einsetzen. Der Einsatz von Bodentruppen im Gazastreifen war eine Botschaft an die Hamas: Sie wollten der Hamas sagen, dass sie jederzeit kommen können, um den Gazastreifen zu besetzen.

STANDARD: Und wie ist diese Botschaft bei der Hamas angekommen?

El-Khodary: Hamas-Führer Mahmud al-Sahar war bei einer Rede diese Woche radikaler als jemals zuvor. Seine Botschaft war: Ihr gebt uns keine Chance, dann werden wir noch extremistischer handeln. Die Hamas will einen Waffenstillstand mit Israel, aber keinesfalls aus einer Position der Schwäche heraus. (DER STANDARD, Printausgabe, 6.3.2008)