Schallwellen und deren Geometrie: Bernhard Leitner gewinnt der Offenheit von Räumen akustische Bedeutungen ab (im Bild: "Variation einer Gang-Röhre II", 1974).

Foto: Leitner
In der langgestreckten Haupthalle im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart in Berlin ist ein White Cube aufgebaut. Ein neutraler, an den Ecken offener Raum zwischen monumentalen Gemälden von Anselm Kiefer. Das Kunstwerk, das sich im Kubus befindet, ist unsichtbar. Sichtbar sind nur die Lautsprecher, aus denen diejenigen Töne kommen, aus denen der Österreicher Bernhard Leitner, langjähriger Professor an der Universität für angewandte Kunst, seine Ton Raum Skulptur errichtet hat.

Genau genommen handelt es sich dabei um die Rekonstruktion einer Arbeit aus den 70er-Jahren, als Leitner in New York lebte und sich intensiv mit den Verbindungen zwischen Architektur, Kunst, Tanz und neuer Musik beschäftigte. Auf Fotografien, die in der Ausstellung enthalten sind, ist ein Atelier aus diesen Tagen zu sehen, in dem eine Frau auf einer Holzbank liegt und sich von Lautsprechern beschallen lässt, die quer durch den Raum auf eigens errichteten Holzgerüsten verteilt sind.

Die Tonraumskulpturen von Bernhard Leitner sind der offene Raum zwischen den Schallquellen. Im Hamburger Bahnhof sind es mehrere Reihen mit hochwertigen Lautsprechern, die so etwas wie einen Tunnel ergeben – man kann die Skulptur durchschreiten, aber auch ihre Begrenzungen überschreiten. Man kann sie von "außen" und von "innen" auf sich wirken lassen. Diese Aufhebung der klassischen Parameter von Kunst (die Begrenzungen des Bildes, die Oberfläche von Skulpturen und Gebäuden) zog sich durch das ganze 20. Jahrhundert, intensivierte sich aber noch einmal während der Zeit, die Bernhard Leitner in New York verbrachte.

Die Konzeptkunst entwickelte einen Werkbegriff, der nicht mehr auf die Präsenz von Objekten angewiesen war. Stattdessen wurde die gedankliche Arbeit, die in ein Werk eingeht, wichtiger. Die Ton Raum Skulptur von Bernhard Leitner hatte ein Vorspiel unter anderem in seinem Engagement für den Erhalt des Wittgenstein-Hauses in Wien, zu dem er 1970 mit einem Text im Artforum beitrug. Zudem war in Wien schon seit den späten 50er-Jahren die neue Musik von Stockhausen, Nono oder Kagel intensiv rezipiert worden.

Aus Musik und Architektur bezog Leitner die Idee, "Klang als Baumaterial" zu verwenden. Der Ton in seiner Ton Raum Skulptur ist bewusst abstrakt aufzufassen – Geräusche, die mit Melodie oder Harmonie nichts zu tun haben.

Sie wandern im Raum, man kann versuchen, die Bewegungen des Tons durch eigene Bewegungen zu akzentuieren. Die konzeptuelle Arbeit wird außerhalb des Schallraums durch zahlreiche Partitur- und andere Blätter dokumentiert, worauf Überlegungen zur Bewegung des Klangs im Raum mit konkreten Ablaufdiagrammen verbunden werden.

Manche Skizzen eines "Experimental Rooms" (1969) erinnern an die geometrischen Bühnenbilder zu Beckett-TV-Spielen, andere Listen lassen an die "Drehbücher" Kurt Krens denken. Der Ton bildet den Raum, ist dabei aber auch vektoral in Raum und Zeit unterwegs – auf welche Beobachterposition dieser "son spatial" (Varèse) hinausläuft, ist eine spannende Frage. Sie erhält im Hamburger Bahnhof dadurch Gewicht, dass es sich bei Ton Raum Skulptur um eine Rekonstruktion handelt – also um eine (Pionier-)Arbeit, die in einem Museum der Gegenwart am richtigen Ort ist. (Bert Rebhandl aus Berlin, DER STANDARD/Printausgabe, 05.03.2008)