Tallinn - Knapp ein Jahr nach den blutigen Unruhen um die Verlegung des als "Bronze-Soldaten" bekannten Tallinner Sowjet-Kriegerdenkmals ehrt Estland das Vorbild der Statue mit einer Briefmarke. Das Postwertzeichen erscheint anlässlich des 100. Geburtstags des estnischen Athleten Kristjan Palusalu am 10. März. Palusalu gewann bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin zwei Goldmedaillen im Ringen (Freistil und Griechisch-Römisch).

Dass der im Jahr 1987 verstorbene Palusalu nachträglich und indirekt zu einem Symbol für die russischsprachige Bevölkerung Estlands wurde, ist dem ebenfalls estnischen Bildhauer Enn Roos zu verdanken. Dieser schuf die Gestalt der zu Sowjetzeiten auch als "Aljoscha" bekannte Kriegerstatue zum Gedenken an die Toten in den Reihen der Roten Armee bei der "Befreiung" Tallinns im Jahr 1945 nach Palusalus Gesichtszügen und Körperbau. Roos dementierte allerdings seinerzeit diesen Umstand, weil Palusalu von den Sowjets als Verräter angesehen wurde.

Biografie

Palusalu diente im Zweiten Weltkrieg in den Reihen der Roten Armee, desertierte jedoch laut den Memoiren des finnischen Turners Heikki Savolainen während des "Fortsetzungskrieges" (1941-44) in finnische Kriegsgefangenschaft. Er wurde von Finnland an die Sowjetunion ausgeliefert und verbrachte anschließend mehrere Jahre in sowjetischen Gulags. Vermutlich wegen seiner ungebrochenen Popularität in der estnischen Bevölkerung durfte Palusalu später in der Estnischen SSR wieder als Trainer arbeiten.

Bei den nach der Auflösung einer zunächst friedlichen Demonstration gegen die Verlegung des "Bronze-Soldaten" ausgebrochenen Krawallen in Tallinn und in Ostestland Ende April 2007, wurden über hundert Personen verletzt und ein 19-Jähriger getötet. Über 1.000 Personen, vorwiegend russischsprachige Jugendliche wurden festgenommen. Seit den Vorfällen sind die Beziehungen zwischen Estland und Moskau auf dem Gefrierpunkt.

Gerichtsverfahren

Gegen vier angebliche Initiatoren der Unruhen ist in Tallinn ein Gerichtsverfahren anhängig. Kritiker warfen der Regierung unter Ministerpräsident Andrus Ansip vor, die Verlegung des Denkmals zum falschen Zeitpunkt und unter bewusster Inkaufnahme von Unruhen erzwungen zu haben. Das Thema hatte bereits im Wahlkampf vor über einem Jahr die Meinungen in Estland gespalten. Während die estnischen Mehrheitsbevölkerung in der Statue vorwiegend ein Symbol für die sowjetische Okkupation Estlands sah, ist die Figur vor allem unter der russischsprachigen Bevölkerung bis heute in erster Linie ein Denkmal für die im Kampf gegen die Nazis gefallenen Soldaten. (APA)