Zur Person

Der Politikwissenschafter Rainer Lindner ist Mitarbeiter der Forschungsgruppe Russland/ GUS am Berliner Thinktank Stiftung Wissenschaft und Politik.

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Die Symbolik der Macht wird sich unter Dimitri Medwedew ändern, wer sich aber frei äußern will, wird in Russland auch künftig Probleme haben, sagt der Politologe Rainer Lindner zu András Szigetvari.

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STANDARD: Dimitri Medwedew ist gewählt, aber niemand hat eine Ahnung, wofür er eigentlich steht. Wohin wird Medwedew Russland führen?

Lindner: Mit Medwedew kommt erstmals ein Mitglied der postsowjetische Generation an die Macht. Trotz der Vorhersehbarkeit des Ergebnisses findet also ein Generationswechsel statt. Medwedew ist am Wahlabend in Jeans und Lederjacke vor die Massen getreten: Damit hält in Russland ein neuer Stil bei der äußeren Symbolik Einzug.

Gleichzeitig ist Medwedew jemand, der in den vergangenen zehn Jahren mit Putin so eng wie kein anderer zusammengearbeitet hat und dessen Vertrauensvorschuss in der Bevölkerung allein darauf beruht, dass Putin ihn vorgeschlagen hat. Er ist also in den Augen vieler Russen ohne politische Statur.

STANDARD: Wo wird er Akzente setzen?

Lindner: Medwedew hat sich nicht nur als Gasprom-Chef einen Namen gemacht, sondern war in mehreren nationalen Projekten, im Bereich Gesundheit, Landwirtschaft und Wohnungsbau, aktiv. Da hat er sich Verdienste erworben. Insofern wird er zunächst versuchen, die Bevölkerung durch innenpolitische Maßnahmen hinter sich zu bringen und gleichzeitig gegenüber dem Westen einen pragmatischen, auf Wirtschaftskontakte fokussierten Kurs verfolgen.

STANDARD: Aber Medwedew ist kein Vertreter der verarmten Schichten, sondern des russischen Staatskapitals.

Lindner: Ja, aber Russland wird seinen Anspruch als neue Großmacht nur einlösen können, wenn man die Verhältnisse im Inneren stabilisiert. Russland hat eine dramatische Gesundheitskrise, es gibt kein funktionierendes Gesundheitsystem. Die Bevölkerungszahl geht zurück: Die Lebenserwartung von Männern ist auf 59 Jahre gesunken. Wenn Medwedew diese Risiken nicht angeht, wird Russland gewaltige Probleme bei der Sicherung jener Stabilität haben, die Putin gern das Ergebnis seiner Amtszeit nennt.

STANDARD: Erwarten Sie eine Stärkung der Pressefreiheit? Lindner: Eher nicht. Das ist in der Wahrnehmung der russischen Politik keine Priorität. Man sieht sich eher einer politischen Kultur verpflichtet, wonach Medien dem Staat zu dienen haben. Die Medien werden nach wie vor Repressionen unterliegen und diejenigen, die sich frei äußern wollen, werden auch unter Medwedew ein Problem haben. (DER STANDARD, Printausgabe, 4.3.2008)