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Der Jüngste im Kreml seit Zar Nikolaus II: Wladimir Putin preist in der Wahlnacht bei einem Popkonzert auf dem Roten Platz seinen Kronprinzen Dmitri Medwedew an, den nächsten russischen Präsidenten.

Foto: Reuters
Andreas Gross hat langsam Mühe, seine Contenance zu bewahren. Bis zwei Uhr morgens in der Wahlnacht hat er die Auszählung der Stimmen bei der russischen Präsidentschaftswahl begutachtet, morgens um sieben saß er mit seinen Kollegen vom Europarat am Tisch und begann seine Erklärung niederzuschreiben. Und jetzt, wo er im Moskauer „Hotel National“ eben diese Erklärung vorträgt und darzulegen versucht, ob die Wahl von Dmitri Medwedew nun fair oder nur frei oder nichts von alledem war, hört er sich Vorwürfe an. Das ist auch für einen Schweizer zu viel

„Es gab keine Freiheit“, rutscht es ihm am Ende heraus, die Wahlen vom Sonntag seien nicht frei gewesen. In der Erklärung steht das nicht. Wären mehr Kandidaten zugelassen worden, hätte es mehr Chancengleichheit im Fernsehen gegeben, dann wäre das Ergebnis doch dasselbe gewesen, behauptet Andreas Gross. Dmitri Medwedew, Putins Kandidat, hätte so oder so gewonnen. Das bringt viele bei der Pressekonferenz im „National“ auf.

Gross, Sozialdemokrat im Bundesrat in Bern und seit vielen Jahren Delegierter im Europarat in Straßburg, dem auch Russland angehört, hat das kleine Fähnlein von Wahlbeobachtern angeführt – die einzige Beobachtergruppe, die nicht aus früheren Moskautreuen Sowjetrepubliken stammt. 22 Delegierte und ein Leiter sind nicht eben ein ausreichend großes Kommando für ein Land mit elf Zeitzonen und 109 Millionen Wahlberechtigten. Doch weil Odihr, die Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, einmal mehr nicht rechtzeitig Visa von den russischen Behörden erhalten und auf eine Beobachtung von Wahlkampf und Abstimmung verzichtet hatte, kommt Gross’ Urteil besondere Bedeutung zu.

70,2 Prozent der Stimmen hat Medwedew, der amtierende Erste Vizepremier am Ende erhalten. Weit abgeschlagen kam der Chef der Kommunisten, Gennadi Sjuganow, auf 17,8 Prozent.

Spät am Wahlabend, als der Sieg des Kreml-Favoriten feststeht, gehen der gewählte und der noch amtierende Präsident durch den Schneeregen über den Roten Platz. Eine Tribüne ist aufgebaut, das jugendliche Publikum wartet auf Musik und auf die nationalen Führer, schwenkt Fahnen und friert. Putin weiß nicht recht, wo er hinsehen soll und warum der Mann neben ihm überhaupt so lange spricht, aber Medwedew kostet zum ersten Mal seinen Sieg aus. Ein ganz kleines bisschen wenigstens, und dann kommt der neue Staatschef, mit 42 Jahren der jüngste seit Zar Nikolaus II., doch wieder auf Putin zu sprechen. Dessen politischer Kurs werde fortgesetzt. Das Publikum jubelt.

Jugend ist Trumpf

Und alles wiederholt sich am Montag, dem Tag nach der Wahl, wo Andreas Gross seine fein ziselierte Erklärung abgibt und Garri Kasparow, einer der Oppositionsführer, die gar nicht erst antraten, eine Demonstration in St. Petersburg versucht. Jugend ist Trumpf für das Putin-Medwedew-Tandem. „Junges Russland“ und die „Bewegung neue Menschen“ marschieren auf dem Puschkin-Platz in Moskau auf. Man gibt ein Rap-Konzert, der Einpeitscher gibt die Botschaft vor: „Heute ist ein sehr guter Tag. Ihr seht, wie Winter und Frühling miteinander kämpfen. Der Bär ist aus seinem Winterschlaf erwacht.“ Es ist ein Wortspiel. „Medwed“ heißt auf Russisch „Bär“. Dmitri Medwedew, der neue Präsident, macht sich an die Arbeit. (Markus Bernath aus Moskau/DER STANDARD, Printausgabe, 4.3.2008)