Wien – Bitows Roman gilt als die Geburtsstunde der postmodernen Literatur in Russland. Im Mittelpunkt steht einerseits die psychische Beschaffenheit des Helden, ebenso viel Raum nehmen jedoch Reflexionen über Literatur und über den Akt des Schreibens ein. Das an versteckten Zimmern und Gängen reiche "Puschkinhaus" erlebt der Leser so, als würde er am Schreibtisch beim Entstehen des Romans dabei sein.

Der junge Philologe Ljowa Odojewzew arbeitet im Puschkinhaus, ein literaturwissenschaftliches Institut und Puschkinmuseum, wo er sich auf die Verteidigung seiner Dissertation vorbereitet. Am Jahrestag der Oktoberrevolution wird er von Freunden besucht, unter ihnen Mitischatjew, ein Doppelgänger ohne Ljowas Selbstvertrauen oder dessen adelige Herkunft. Es kommt zum Streit, Exponate werden zerstört und ein tödlicher Schuss fällt.

Bitow erzählt die Geschichte nicht linear. Er nimmt immer wieder Anlauf, um mögliche Varianten von Ljowas Vita durchzuspielen. Erstaunlich ist daran nicht nur der spielerische Umgang mit literarischen Konventionen. Vor allem ist Das Puschkinhaus eine faszinierende Lektüre, die sich von den blutleeren Experimenten vieler Postmoderner deutlich abhebt. Wohl deshalb lässt sich Bitow nicht gern dieser Strömung zuschlagen.

Die drei Teile des Romans hat er je einem russischen Klassiker gewidmet. Sie heißen nach Turgenjew Väter und Söhne, in Abwandlung von Lermontow Ein Held unserer Zeit und, in Anspielung auf Puschkins Der eherne Reiter, Der elende Reiter. Schließlich verweist auch der Schluss auf Puschkin und Lermontow – und deren Ende: Zwischen den Kontrahenten kommt es zur modernen Travestie eines Duells. Die 60er-Jahre waren keine Zeit mehr für Helden, die Figuren sind in ihren Interessen und Liebschaften launenhaft. Auch in dieser Hinsicht ist Bitows Wunderwerk erstaunlich zeitgemäß geblieben. (fast, DER STANDARD/Printausgabe, 04.03.2008)

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