Früher waren Zahnspangen als "Schneeketten" verschrien - Draht und Brackets werden immer feiner.

Foto: Matthias Cremer
Foto: Matthias Cremer
Es gibt viele Methoden zur Kieferregulierung. Auch immer mehr Erwachsene lassen ihr Gebiss justieren. Unter Kieferorthopäden herrscht allerdings Uneinigkeit darüber, wie Zähne am effizientesten bewegt werden können.

Frage der Krafteinwirkung

Eine Frage ist, mit welcher Krafteinwirkung gearbeitet werden soll. In einer Studie an der Universität Nijmegen in den Niederlanden versuchte man diese Frage im Tierversuch zu klären. Einer Gruppe von Hunden, konkret Beageln - acht davon Zwillingspaare -, wurden Zähne gezogen und Zahnspangen verpasst, um die so entstandenen Zwischenräume zu schließen.

Kiefer sind unterschiedlich

Die Versuchsanordnung sah unterschiedliche Krafteinwirkungen auch innerhalb eines Kiefers vor - also rechts und links verschieden -, und einer Kontrollgruppe waren Zahnspangen ohne gespannten Draht dazwischen eingesetzt worden. Das Ergebnis: Kiefer sind unterschiedlich. Wie schnell sich Zähne verschieben lassen, hängt nicht von der Krafteinwirkung, sondern von individuell unterschiedlichen Faktoren wie etwa Knochendichte ab. Deshalb, sagt Hans-Peter Bantleon, Leiter der Kieferorthopädie an der Zahnklinik Wien, sei die Frage nach der besten Methode immer nur individuell zu beantworten.

Motor Mechanik

"Zahnregulierung ist reine Mechanik und über 100 Jahre alt", sagt er und vergleicht fixe Zahnspangen, also Brackets, mit Hardware, die durch verschiedene Arten von Software - damit meint Bantleon die diversen Drahtbögen - manipuliert wird. Waren die Drähte früher einmal aus Gold, Silber oder Stahl, so werden heute Hightech-Drähte aus Nickel-Titanium verwendet. Auch Brackets haben sich verändert: Sie sind unauffälliger geworden, um optisch weniger zu beeinträchtigen.

Probleme mit Kiefergelenken

"Je besser die Verzahnung, desto geringer die Wahrscheinlichkeit von Funktionsstörungen im Laufe des Lebens", sagt Martin Richter, Leiter der Abteilung für Kieferorthopädie an der Zahnklinik der Med-Uni Innsbruck, und meint Probleme mit Kiefergelenken und Kaumuskulatur, beschleunigtem Zahnfleischschwund oder Abnützung. Bei ungünstiger Zahnstellung sei auch die Zahnhygiene beeinträchtigt, so Richter.

Das Ideal

Die Spalte zwischen den beiden vorderen Schneidezähnen sollte genau auf einer Linie mit der Nasenspitze sein, die Zahnreihe in Reih und Glied im Kiefer stehen. Bei den meisten Menschen ist das natürlicherweise aber nicht der Fall. Zahnfehlstellungen nehmen zu. Heute werden bei der Hälfte aller Jugendlichen und bei 40 Prozent der Erwachsenen Fehlstellungen diagnostiziert, vor 100 Jahren waren es nur 30 Prozent.

Platzmangel im Mund

Über die Ursachen gibt es Mutmaßungen evolutionstheoretischer Natur. Schädelvolumen und Gehirngröße nehmen zu, das Gesicht wird flacher und Kauwerkzeuge werden immer weniger beansprucht. Die Folge: Platzmangel im Mund. Oft müssen Zähne gezogen werden, um Raum zu schaffen.

Wie eine Perlenreihe

"Im Wesentlichen gibt es drei verschiedene Aktionen, die Zahnspangen leisten müssen", erklärt Bantleon. Erstens: eine kippende Bewegung, die die Zahnkrone in die gewünschte Richtung, die Wurzel in die Gegenrichtung lenkt. Zweitens: die Verschiebung von Zähnen samt Zahnwurzel. Und drittens: die Drehung des Zahnes. "Fixe Zahnspangen sind die effizienteste Methode", sagt Richter. Innerhalb dieser Methode gibt es wiederum eine Vielzahl von technischen Modifikationen, die alle das Potenzial haben, zum selben Ergebnis zu führen.

Nie zu spät

Ist es für eine Zahnregulierung jemals zu spät? "Nein", sagt Richter, der älteste ihm bekannte Patient sei 92, ein Kalifornier. Allerdings, so Richter, kann auch ein reguliertes Gebiss sich wieder verschieben. "Es ist zwischen einem Rezidiv und Verschiebungen durch Alterserscheinungen zu unterscheiden", sagt Richter. Regulierungen dauern zwischen ein und vier Jahren und kosten rund 5000 Euro.

Genauso zufrieden ohne

Für alle, die sich das nicht leisten können, kommt Trost von britischen Zahnärzten in Form der Cardiff-Studie, in der 1000 Kinder mit und ohne Zahnspange über 20 Jahre beobachtet wurden. Im Alter von 31 Jahren fühlten sich jene, die nie eine Zahnspange hatten, obwohl ihr Gebiss eine solche benötigt hätte, psychisch in jeder Hinsicht stabil und genauso zufrieden mit ihrem Lächeln wie ihre Altersgenossen mit reguliertem Gebiss (British Journal of Health Psychology, 2007, Bd. 12). (Karin Pollack, MEDSTANDARD, 03.03.2008)