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Zur Person

Boris Nemzow (48), einer der führenden liberalen Oppositionellen, war Gouverneur und 1997-98 Erster Vizepremier. Zur Wahl am Sonntag geht er nicht. Er fliegt zum Windsurfen nach Venezuela.

Foto: Reuters
Dmitri Medwedew wird den Machtkampf gegen Putin gewinnen, behauptet Boris Nemzow, der wie der heutige Präsidentschaftskandidat auch einmal Vizepremier war. Wie, sagt der frühere Reformer im Gespräch mit Markus Bernath.

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STANDARD: Was für ein Präsident wird Dmitri Medwedew?

Nemzow: Es gibt drei Unterschiede zwischen ihm und Putin. Er war kein KGB-Agent, er hat Erfahrung in der Privatwirtschaft und drittens, was entscheidend ist: Er organisierte seinen Wahlkampf mit unehrlichen Methoden, aber ohne Blut. Putin hat seine Wahl mit Blut erreicht, mit dem Krieg in Tschetschenien. Drei Unterschiede, die Hoffnung machen – keine großen, aber doch einige.

Und noch eines mit Blick auf die russische Tradition: Derjenige, der den Kreml kontrolliert, hat auch die Macht. Und ich meine, wer ihn physisch kontrolliert, wer selbst seine Büros im Kreml hat. Der Rest kann einflussreich sein und stark, aber er hat nicht die Macht.

Ich glaube deshalb, dass wir am Anfang ein doppeltes System der Macht haben mit Medwedew im Kreml und Putin im Weißen Haus (Sitz des Premiers in Moskau, Anm.), was für die politische Stabilität sehr gefährlich ist. Aber am Ende wird Medwedew gewinnen. 1000 Jahre Tradition und die Verfassung sind auf seiner Seite.

STANDARD: Eine Machtbasis im Geheimdienst, in der Armee, im Kreml fehlt ihm trotzdem.

Nemzow: Ich habe einen Plan für Medwedew. Er muss nur eines tun: die Zensur abschaffen. Die Liste der 15 Personen, die nicht im Fernsehen auftreten dürfen, weil sie etwas zu sagen haben. Über Putins Beziehungen zu Abramowitsch, zu Kowaltschuk (zwei der Oligarchen in Russland), Skandale innerhalb des Kreml, die schwarzen Kassen des Kreml. Es ist verboten, darüber zu sprechen. Wenn Medwedew die Zensur abschafft, ist es aus mit Putin.

STANDARD: Die Russen buckeln vor der Macht, sie wollen einen Herrn haben, sie haben kein rechtes Verständnis für Demokratie. Das hörte man nun wieder im Vorfeld dieser Wahlen. Glauben Sie das auch?

Nemzow: Es gibt einen Handel zwischen Putin und dem Volk. Die Russen schließen die Augen vor Korruption, Missmanagement, vor fürchterlichen Ergebnissen in der Außenpolitik, und Putin andererseits, erhöht Gehälter und Pensionen. Das ist es. Die Russen schauen weg, wenn es um Freiheit geht, die Unabhängigkeit der Gerichte, Verfassungsbrüche. Dafür ist das Realeinkommen in den letzten acht Jahren um zehn Prozent jährlich gestiegen.

Mehr als zehn Millionen russische Familien haben ein Einkommen von mehr als 25.000 Dollar im Jahr, 20 Prozent der Bevölkerung. Das sieht aus wie ein Wunder. Die Leute denken an Geld, Wohnungen, Ausbildung. Das ist der Handel mit Putin. Ein zynischer Handel, aber ein Handel.

STANDARD: Und dieser Handel hält ewig? Oder ist einmal Schluss damit?

Nemzow: Ja, wenn es eine Krise gibt. Putin versprach ihnen, das Einkommen jedes Jahr zu erhöhen. Bricht er nur einmal damit, wird sich jeder an Beslan erinnern, an die Korruption, an alles. Die Leute verstehen ganz genau, was hier in diesem Land passiert. Dass dies hier keine Wahl ist, sondern eine arrangierte Nachfolge.