Brüssel/Wien – Das nicht gerade unkomplizierte Machtgefüge in der EU-Hauptstadt wird im kommenden Jahr nach den Regeln des EU-Reformvertrages neu zusammengesetzt. Neben der Neuwahl des Parlaments mit seinen 751 Abgeordneten wird dann auch die Kommission neu besetzt – letztmals mit 27 Mitgliedern. Darüber hinaus werden auch die zwei neuen Spitzenjobs der EU erstmals vergeben: der Außenminister und der EU-Präsident – vorausgesetzt, der Reformvertrag fällt bei der Volksabstimmung in Irland diesen Frühling nicht durch und wird auch in allen anderen EU-Ländern so ratifiziert, dass er am 1. Jänner 2009 in Kraft treten kann.
Es gilt als fix, dass Kommissionspräsident und Ratspräsident bzw. Außenminister aus verschiedenen politischen Lagern kommen müssen, um für einen Machtausgleich zu sorgen.
EU-Parlamentswahl entscheidend
Entscheidend für die Kette an Entscheidungen und Bestellungen ist der Ausgang der EU-Parlamentswahl. Die Staats- und Regierungschefs werden einen Kommissionspräsident-Kandidaten vorschlagen, der aus dem Lager der stärksten Parlaments-Fraktion kommt. Das sind derzeit die Christdemokraten mit 288 Sitzen vor den Sozialdemokarten mit 215 Abgeordneten. Eine Änderung dieser Rangordnung gilt als eher unwahrscheinlich.
Der konservative Kommissionschef José Manuel Barroso sollte informierten Diplomaten zufolge deswegen bleiben können. „Das scheint so gut wie sicher zu sein, er hat sich unter den Mächtigen in der EU kaum Feinde geschaffen“, hieß es. Das gilt zumindest für den Kreis der Staats- und Regierungschefs.
Nicht unbedingt Führungsstärke
Im Parlament sieht es da schon anders aus, und nach dem Reformvertrag benötigt der Kommissionschef auch erstmals die mehrheitliche Zustimmung der Abgeordneten. Auch konservative Volksvertreter werfen Barroso aber vor, ein schwacher Präsident zu sein, der vor allem den Wünschen der großen Staaten nichts entgegenzusetzen habe. Mitglieder seiner Kommission bekriegten sich zuletzt über die Medien im Rahmen der Klimaschutzdebatte, was nicht unbedingt als Führungsstärke auszulegen wäre, meint man im EU-Parlament.
Barrosos Vorteil: Es gibt kaum Konkurrenz. Liberalere Politiker wie der Belgier Guy Verhofstadt (er scheiterte bereits einmal am Veto der Konservativen) hätten keine große Chance, da sie mit ihrem Konzept eines EU-Föderalstaates ein rotes Tuch für die Briten seien. Im Rennen um die neue Position des EU-Präsidenten könnte sich eine Überraschung abzeichnen. Bisher galt der frühere britische sozialistische Premierminister Tony Blair quasi als Fixstarter für den Spitzenjob. Doch dagegen gibt es immer mehr Widerstand: Ein EU-Präsident aus einem Land ohne Euro und mit gewichtigen Ausnahmeregelungen im Reformvertrag scheint vielen ein „unpassendes Signal“.
Geheimfavorit
Neuerdings munkeln die Auguren auch, dass der irische Regierungschef Bertie Ahern – er kommt am Mittwoch nach Wien – eine Art Geheimfavorit sein könnte. Als Mitfavorit wird Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker gehandelt. Er gilt als blendender Vermittler auch zwischen den oft uneinigen Schwergewichten Deutschland und Frankreich.
Guy Verhofstadt oder der Schwede Carl Bildt haben derzeit gute Chancen, EU-Außenminister zu werden – eine Doppelposition, die im Außenministerrat und in der Kommission (Vizepräsident) verankert ist und der EU-Außenpolitik mehr Kontur verleihen soll. Im Rennen ist auch noch Italiens Massimo D’Alema. Deutschlands ehemaliger Außenminister Joschka Fischer hat hier ebenso wie Wolfgang Schüssel „zu wenig Hausmacht“, um in den engeren Favoritenkreis vordringen zu können, heißt es in Brüssel. Fischer gelte dazu zu sehr als „unguided missile“, er wäre zu unberechenbar. Schüssel wird immer wieder von CSU-Kreisen im EU-Parlament ins Spiel gebracht, stößt aber auf erbitterten Widerstand bei Abgeordneten aus Frankreich, Belgien und den Niederlanden.
"Oststaaten müssen auch bedient werden"
Der Posten des Nato-Generalsekretärs könnte indes an einen Politiker aus den neuen Mitgliedsländern gehen: „Die Oststaaten müssen in dem Spiel auch bedient werden“, sagte ein Diplomat. Als Favorit gilt der frühere polnische Präsident Aleksander Kwasniewski.