Almut Sülzle glaubt, dass Fußball ohne Männlichkeitskult kein Nationalsport wäre, sondern eine Sportart wie jede andere auch.

Foto: DER STANDARD/Leonie Thjen
Die deutsche Ethnologin Almut Sülzle ist jahrelang ins Fußballstadion gegangen und hat sich unter Fans gemischt. Oliver Hochadel sprach mit ihr über Möglichkeiten, den Sexismus auf dem Fußballplatz zu bekämpfen: indem man ihn vorwegnimmt.

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STANDARD: Bei der WM 2006 war häufig davon die Rede, dass aufgrund der Begeisterung auch unter Frauen der Fußball als letzte Domäne der Männlichkeit fällt.

Sülzle: Das war genau das, was Journalisten immer von mir hören wollten. Dabei sind bei Länderspielen schon seit mindestens fünfzehn Jahren fünfzig Prozent der TV-Zuschauer Frauen. Fußball ist kein Sport wie jeder andere, er ist von gesamtgesellschaftlicher Relevanz. Er findet sich auch auf den Titelseiten der Zeitungen und im Wirtschaftsteil.

STANDARD: Aber – so zumindest das Vorurteil – die Frauen schauen nur mit, weil es eben alle tun.

Sülzle: Ja, aber das gilt auch für viele Männer. Und nur die Hälfte der Männer interessiert sich für Fußball und eben nicht alle, wie das unseren kulturellen Wahrnehmungsmustern entspräche. Frauen hingegen unterstellt man, kein genuines Interesse am Fußball zu haben. Im Stadion werden sie deshalb immer nur als Begleiterinnen wahrgenommen. Das ist aber ein Denkfehler. Der Fan will im Stadion auch mal sexistisch oder rassistisch sein, da bringt er doch nicht seine Freundin mit, wenn die sich überhaupt nicht für Fußball interessiert.

STANDARD: Welche Frauen gehen denn dann ins Stadion?

Sülzle: Die, die sich für Fußball interessieren! Da gibt es eine bunte Vielfalt. Die reicht von den Groupies, die kreischen und die Spieler „so süß“ finden, bis zu den richtigen Fans, die in weiblichen oder gemischten Fanklubs organisiert sind.

STANDARD: Wie sind denn Sie auf den Ball gekommen?

Sülzle: Ich hatte mich zuvor mit dem Thema Mädchen und Technik beschäftigt. Für mein nächstes Forschungsprojekt habe ich nach einem Bereich gesucht, wo diese kulturelle Belegung mit Männlichkeit ähnlich stark ist. Da bin ich auf den Fußball gekommen, für den ich mich vorher gar nicht interessiert habe. Männlichkeit im Fußball ist eine echte Forschungslücke – trotz einer seit Jahren boomenden sozialwissenschaftlichen Forschung zum Thema Fußball. Die Forscher sind eben selbst Männer und Fußballfans.

STANDARD: Sie haben also Feldforschung im Stadion betrieben?

Sülzle: Ich bin drei Jahre zu vielen Spielen von Kickers Offenbach gegangen, deren Fans als besonders treu gelten und die auch einen weiblichen Fanklub haben. Der Verein spielte damals in der Regionalliga, und ich durfte den Aufstieg in die zweite Liga miterleben.

STANDARD: Und Sie haben bei den Spielen dann voll mit gemacht, also was man „going native“ nennt?

Sülzle: Waren Sie mal im Stadion? Dem kann man sich gar nicht entziehen.

STANDARD: Hat Sie diese Erfahrung auch selbst verändert?

Sülzle: Ja, Freude durch Schreien und Jubeln auszudrücken, war mir fremd. Es ist auch eine faszinierende Erfahrung, für mehrere Stunden alles andere hinter sich zu lassen und nur dort zu sein. Im Stadion finden sich auch alle Schichten, vom Manager bis zum Arbeitslosen, die gesellschaftlichen Schranken werden dort teilweise aufgehoben.

STANDARD: Und was halten die Fans davon, wenn sie untersucht werden? Das ist ja quasi die Situation Ethnologe besucht Eingeborenenstamm.

Sülzle: Die reagieren sehr routiniert, weil sie den Umgang mit Menschen von außen gewohnt sind, mit Journalisten oder eben auch mit Wissenschaftlern. Sie übernehmen ja auch teilweise die Beschreibungen von außen wie „Fankultur“. Und die Intellektuellen unter den Fans lesen dann auch, was über sie geschrieben wird. Da gibt es also Wechselwirkungen zwischen Forschern und Erforschten.

STANDARD: Sind Sie jetzt selbst zum Fußballfan geworden?

Sülzle: Eher zum Fan von Fußballfankulturen. Weibliche Fußballfans genießen es, nicht auf die Rolle der Frau festgeschrieben zu sein. Sie können vieles ausprobieren, was für Männer reserviert ist. Im Stadion darf eine Frau auch einmal wüst schreien und fluchen. Alles, was rosa und zickig ist, hat im Stadion nichts verloren. Was mich fasziniert, ist der Zusammenhalt unter den Frauen und der ironische Umgang mit Sexismus. Frauenfanklubs nennen sich „Titten auswärts“ oder „Hooligänse“.

STANDARD: Aber übernehmen sie so nicht den Sexismus männlicher Fans?

Sülzle: Eine meine Interviewpartnerinnen hat verneint: „Die Männer sind dann verdattert, wenn sie Frauen mit entsprechend bedruckten T-Shirts sehen. Und vielleicht fangen sie an nachzudenken.“ Wir nennen diese Strategie „vorweggenommener Sexismus“, es geht um die Umpolung der Begriffe. Also wie die Übernahme des ursprünglich beleidigenden Begriffes „schwul“ durch die Homosexuellen. „Titten“ stünde dann für selbstbewusste Frauen. Ob das funktioniert, hängt davon ab, ob es eine kritische Masse erreicht.

STANDARD: Kann man dem Fußball den Sexismus also austreiben?

Sülzle: Um es provokant zu formulieren: Ich glaube nicht, dass Fußball ohne Männlichkeitskult und den Ausschluss von Weiblichkeit möglich ist. Ohne das wäre er nicht Nationalsport, sondern nur eine Sportart unter vielen – so wie Frauenfußball. Meine Kollegin Nicole Selmer glaubt hingegen, dass sich die Fankultur grundlegend verändern kann. Am 16. April werde ich mit ihr auf einer Tagung der Uni Wien dazu ein „freundschaftliches Streitgespräch“ führen. Aber die Frage selbst wird im Stadion entschieden.

Vom 15.–16.4. diskutieren Almut Sülzle, Eva Kreisky, Georg Spitaler u. a. an der Uni Wien über Fußball, Politik und die Konstruktion von Weiblichkeit und Männlichkeit im Fußball. (DER STANDARD, Printausgabe, 27.2.2008)