Cecil Taylor erinnert sich: "Ich bat meine Mutter um Klavierunterricht, sie sagte: 'Du übst sechs Tage in der Woche, und ich werde es überwachen. Am Sonntag kannst du tun, was du willst!'"

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... und gewährte dem Standard gutgelaunt ein Interview.


Wien – Als man eintritt, grüßt er freundlich und setzt seinen offenbar schon seit längerer Zeit gehaltenen Monolog fort. Er spricht über Chet Baker, den Jazztrompeten-Tragöden, über den noch jünger, nämlich 36-jährig, verstorbenen Eric Dolphy, springt weiter zu Choreograf George Balanchine, dessen dritte Frau, so sagt er, die erste indianisch-amerikanische Ballerina gewesen sei, kehrt noch einmal zu Dolphy, dem hoffnungsvollen Multiinstrumentalisten, zurück, der bei Edgar Varèse Unterricht nahm und der eines Abends ein Angebot des großen "King of Swing" Benny Goodman – damals, an der Schwelle zum Free Jazz, freilich schon eine historische Figur – ausschlug.

"Goodman kam in den Club, in dem Dolphy mit John Coltrane spielte, er sprach ihn an wegen seiner bevorstehenden Russland-Tournee – die Russen wollten nicht Duke Ellington, sie wollten Benny Goodman! Eric sagte allerdings: ‚Ich bin glücklich hier!‘"

Wer Cecil Taylor gegenübersitzt, der muss den Terminus "Interview" durchaus relativieren. Fragen beeinflussen nur bedingt das Gesprächsthema des vital wirkenden Herren. Vielmehr hat man den Eindruck, einem Monolog zu lauschen, der schon lange vorher begonnen hat – und der nach dessen Abschied wohl ebenso unbeeindruckt weitergehen würde, mit der Managerin und Tony Oxley, seinem langjährigen Schlagzeug-Weggefährten, als andächtig lauschenden Zuhörern.

Der Erzähler

Taylors Erzählfluss gleicht einem stetigen, zuweilen sprunghaften Informationsstrom aus einem gutgefüllten Erinnerungsspeicher, voll mit Daten über die Musikgeschichte, die Geschichte Amerikas und sein eigenes, detailgenau erinnertes Musikerleben. Der Erzählton ist von dramatischen Kontrasten geprägt. Taylor schleudert Worte in gerafftem, silbenverschluckendem Tempo heraus, um unvermittelt wieder in dramatisches Flüstern zu verfallen.

Die Parallele zu seiner Tastenkunst ist offensichtlich, zu jener schulbildenden Pianistik, mit der Taylor in den 60ern als Inbegriff des damaligen Avantgarde-Jazz Geschichte geschrieben hat. Mittlerweile ist er, der bis heute kompromisslos Gebliebene, in die Jahre gekommen – im März sind es deren 79 –, und, gewiss, seine seit von berstender Intensität, von ungeheurer Physis geprägte Musik, sie wirkt nicht mehr ganz so wirbelsturmartig wie früher – ein Klasse für sich ist er aber immer noch.

Heute kann mitunter sogar ein elegisch-romantischer Unterton durch die rastlosen, von blitzschnellen Gesten und Akkordballungen dicht verwucherten Rhapsodien durchschimmern. Derlei konnte man im Porgy&Bess erlauschen, wo Taylor denkwürdig die kurzfristige Absage im Vorjahr vergessen machte. Eine Stunde dauerte die erste pianistische Tour de Force, ein Monolog, bei dem Tony Oxley erneut, wenn auch als aktiver, für eine stimulierend dichte perkussionistische Impulsschicht sorgender Zuhörer fungierte, dann hatte sich Taylor warm gespielt, dann wich der suchende Charakter der Musik einem entschlossenen Ausspielen seines Könnens: spontan in die Tasten gesetzte thematische Gestalten, mehr gestisch-rhythmischer als melodisch-harmonischer Kontur, waren da zu hören, die in kontinuierlichen Wellenbewegungen ideenreich dekonstruiert, permutiert und schließlich fallengelassen wurden.

Die Vertreibung

"Das ist zeitgenössische Musik", so sagt Taylor, als ihn die Frage nach seiner Sozialisierung in der europäischen Moderne, die der zeit seines Lebens in Brooklyn beheimatete Pianist, wie man weiß, von Bartók bis Stockhausen studiert hat. Um auf das nochmalige Nachfragen mit einem historischen Exkurs über seine indianische Abstammung, über den "Trail of Tears", die Vertreibung der Cherokee von ihrem Land im Jahr 1838, über behördliche Ausrottungsversuche mit pockeninfizierten Hilfsgütern zu antworten.

"Mein Mutter war eine Cherokee. Sie war die wichtigste Frau in meinem Leben. Als ich fünf war, sagte mir meine Mutter, ich sollte Chick Webb und seine neue Sängerin Ella Fitzgerald hören. Das war mein Wendepunkt. Ich bat meine Mutter um Klavierunterricht, sie überlegte, sagte dann: 'Das Klavier wird deine Ausbildung sein. Du übst sechs Tage in der Woche, und ich werde es überwachen. Am Sonntag kannst du tun, was du willst.'" Ob er nach so vielen Jahren der Nichtakzeptanz, der Hemm- und Hindernisse sich und seine Musik heute dort sehe, wo sie hingehörten? Das ist eine Frage, bei der Taylor kurz aufmerkt.

"Was meinen Sie damit?", lautet die Gegenfrage des Pianisten, der im Prinzip bis heute zwischen den Stühlen von Jazz- und zeitgenössischem Musikbetrieb sitzt, den die Neokonservativen unter Federführung von Wynton Marsalis aus ihrer von traditionellen Blues- und Swing-Kriterien bestimmten Jazzgeschichte verbannen wollen, und dem – von Ausnahmen wie den Donaueschinger Musiktagen abgesehen – die Pforten des zeitgenössischen Musikbetriebs verschlossen geblieben sind. Gleich hat er sich wieder gefasst: "Ich bin so glücklich, wie ich nur sein kann." (Andreas Felber / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 26.2.2008)