Die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo hat die Stabilität auf dem westlichen Balkan erneut auf die europäische Tagesordnung gesetzt. Wenn die Europäische Union nicht schnell handelt, könnte die gesamte Region wieder abgleiten – mit schlimmen sozialen, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Folgen. Die Europäische Union braucht eine umfassende regionale Strategie, die sich auf die verbleibenden Schritte konzentriert, die jedes Land zur Mitgliedschaft führen würden.

Der westliche Balkan – ein Begriff, der erst seit 1999 Verwendung findet – umfasst Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kroatien, Mazedonien (Fyrom), Montenegro, Serbien und den Kosovo mit einer Gesamtbevölkerung von rund 22 Millionen Menschen. Die wirtschaftliche Entwicklung der Region ist vielversprechend; nahezu alle ihre Volkswirtschaften verzeichnen ein hohes, durch die Zunahmen bei Industrieproduktion und Export angetriebenes Wachstum. Die Investitionen aus dem Ausland wachsen stetig, da die Wirtschaft zu glauben scheint, dass die verbleibenden Herausforderungen im Bereich der Politik und Sicherheit – die möglicherweise von einem Nach-Unabhängigkeits-Kosovo und von der bosnischen Malaise ausgehenden negativen Auswirkungen – eher früher als später bewältigt sein dürften.

Es wurde bereits eine Menge getan, um die regionalen Beziehungen wiederherzustellen und zu verbessern. Der EU-geführte Stabilitätspakt für Südosteuropa hat seit 1999 erfolgreich die grenzübergreifende Zusammenarbeit innerhalb der Region belebt, und zwar erstmals seit dem Zusammenbruch Jugoslawiens. Der Energiesektor, die Infrastruktur im Transportwesen – Straßen, Eisenbahnen und Wasserstraßen – sowie die präventive Verbrechensbekämpfung haben alle profitiert. Der Stabilitätspakt wurde nun der örtlichen Kontrolle übertragen und ersteht jetzt als Regionaler Kooperationsrat mit Sitz in Sarajevo wieder auf, bereit, regionale und multilaterale Standards für seine Mitglieder zu entwickeln.

Erstes regionales Forum

Das kürzlich neubelebte Mitteleuropäische Freihandelsabkommen (Cefta) soll zum regionalen Hauptantriebsmotor für Handel und Wirtschaft im Allgemeinen werden und wird sowohl die WTO-Regeln als auch die Verpflichtungen der Parteien gegenüber der Europäischen Union erfüllen. Eine der relativ neuen regionalen Organisationen, die zur Vorbereitung der Kandidaten- und potenziellen Kandidatenländer auf die EU-Mitgliedschaft beitragen, ist auch der Südosteuropäische Kooperationsprozess. Er stellt das erste echte regionsweite politische Forum dar, an dem sowohl EU-Mitglieder wie auch Kandidatenländer beteiligt sind.

Diese Gremien dürfen freilich nicht als Ersatzorgane für den deutlich umfassenderen Beitrittsprozess betrachtet werden, den allein die EU selbst einleiten kann. Und doch, trotz der günstigen Aussichten der Region und ihrer relativ geringen Größe hat sich die EU hier nur langsam bewegt.

Harte Arbeit

Sicher ist die Geschwindigkeit der Annäherung der Kandidatenländer an die Europäische Union vom Tempo ihrer Reformen abhängig. Und Europa hat – mit der unverzichtbaren Unterstützung der Vereinigten Staaten – harte Arbeit geleistet: zunächst, um die Massaker der 1990er-Jahre zu beenden, und anschließend durch Hilfe beim Wiederaufbau der Balkanländer.

Doch hat es die EU bisher versäumt, den westlichen Balkan auf den Beitritt vorzubereiten, so wie es dem Versprechen ihrer Führer auf dem Gipfel von Thessaloniki 2003, die Staaten des westlichen Balkans zuzulassen, wenn sie die Standards der Union erfüllen, entspräche.

Dieses Versprechen wurde nicht aus reiner Barmherzigkeit gemacht; der Balkan würde die Europäische Union stärken. Freilich war die lange innere Krise der EU um den vorgesehenen Verfassungsvertrag eine deutliche Ablenkung, und sie hat dem Ruf der Union auf dem Balkan geschadet. Wir wollen hoffen, dass der neue Reformvertrag dazu beiträgt, die Kritiker zu beruhigen und den Weg für eine neue – und robustere – Phase der Integration zu bereiten.

Falls nicht, müsste man sich fragen, was aus dem europäischen Geist der 1970er- und 1980er-Jahre geworden ist, als Länder wie Griechenland, Portugal und Spanien, die gerade erst Diktatur und Bürgerunruhen hinter sich hatten, mit offenen Armen in die europäische Gemeinschaft demokratischer Staaten aufgenommen wurden. Die damaligen politischen Entscheidungen waren sehr viel riskanter als jene, die derzeit für den Balkan anstehen, und die griechischen und iberischen Erfolgsgeschichten sind ein Beleg für die Weisheit der damaligen mutigen Entscheidungen.

Zu salopp

Und heute? Die jüngsten EU-Mitglieder, Bulgarien und Rumänien, liegen beide auf dem Balkan und sind beide Beispiele für Länder mit besonderen Anforderungen. Nachdem die EU ihre Beitrittsverhandlungen zunächst ein bisschen zu salopp anging, entschied sie in der Folge, die Überwachung der beiden Länder sogar nach dem Beitritt fortzusetzen, um zu gewährleisten, dass diese jene effektiven Verwaltungs- und Rechtssysteme entwickeln, zu denen die Mitgliedschaft verpflichtet.

Beitrittsstrategie

Die Europäische Union muss aus dieser Erfahrung lernen, um eine Beitrittsstrategie für den westlichen Balkan zu entwickeln, dessen Aufbau sich nach den dortigen Konflikten durch einen komplexen Übergangsprozess verzögert hat. Seine besonderen Anforderungen sollten bei jeder neuen EU-Strategie Berücksichtigung finden, um den dortigen Ländern Hoffnung zu geben und zugleich die negativen Auswirkungen der Ereignisse im Kosovo abzumildern.

Es liegt ebenso im Interesse Europas wie jenem der Region, den Integrationsprozess zu beschleunigen. Ein wiedererstarkter Beitrittsprozess würde zur territorialen und politischen Konsolidierung der Europäischen Union beitragen und zugleich ihre Rolle innerhalb ihres erweiterten Umfelds – im Mittelmeerraum, im Nahen Osten und am Schwarzen Meer – stärken. (DER STANDARD, Printausgabe, 20.2.2008) © Project Syndicate/Europe’s World, 2008. www.project-syndicate.org Aus dem Englischen von Jan Doolan.