Ein OGH-Senat denkt in einer für das Mietrecht entscheidenden Frage anders als die anderen. Das führt zu widersprüchlichen Entscheiden des Höchstgerichts.

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Mietet eine juristische Person oder Personengesellschaft ein Mietobjekt, bestand ursprünglich die Möglichkeit, durch gesellschaftsrechtliche Vorgänge – etwa Anteilsabtretungen – das beim Unternehmensverkauf bestehende Recht des Vermieters auf Anhebung des Mietzinses zu umgehen. Um dem entgegenzuwirken, legte der Gesetzgeber in § 12a Abs 3 MRG fest, dass im Falle "entscheidender Änderung der rechtlichen und wirtschaftlichen Einflussmöglichkeiten" bei Mietergesellschaften der Vermieter zur Anhebung des Mietzinses auf ein angemessenes Niveau berechtigt ist. Hiedurch werden gesellschaftsrechtliche Vorgänge, die wirtschaftlich eine Unternehmensveräußerung bewirken, einer solchen auch rechtlich gleichgestellt.

Uneinigkeit zwischen den Senaten

In den letzten Jahren wurde der Oberste Gerichtshof öfters mit der Frage befasst, ob gewisse Änderungen innerhalb der Mietergesellschaft dem Kriterium der "entscheidendem Änderung" entsprechen. Dabei zeigte sich, dass zwischen den verschiedenen Senaten nicht immer Einigkeit besteht. Das sorgt bei Mietern und Vermietern für erhebliche Rechtsunsicherheit. Die Mehrheit der OGH-Senate folgt der so genannten Machtwechseltheorie: Betreibt die Mietergesellschaft im Mietobjekt ein veräußerbares Unternehmen, liegt eine entscheidende Änderung der Einflussmöglichkeiten dann vor, wenn es dem dadurch Begünstigten möglich ist, auf das von der Mietergesellschaft betriebene Unternehmen so Einfluss zu nehmen, als hätte er dieses selbst erworben. Dabei muss es zur Änderung der rechtlichen und wirtschaftlichen Einflussmöglichkeiten kommen, eines allein reicht nicht aus. Der Vermieter ist nach dieser Theorie zur Mietzinsanhebung berechtigt, wenn es in der Mietergesellschaft zum "Kippen der Mehrheitsverhältnisse" kommt.

Die Änderung der Einflussmöglichkeiten muss dabei gesellschaftsrechtlich begründet sein. Dabei kommt es nicht darauf, ob der Einfluss direkt oder indirekt, etwa durch zwischengeschaltete Gesellschaften, ausgeübt wird. Entscheidend ist, dass der (neue) Machtträger aufgrund seiner gesellschaftsrechtlichen Position die Geschicke der Gesellschaft diktieren kann – vor allem durch die Möglichkeit zur Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern.

Machtwechsel

Rechtlich relevant dabei ist nicht die Kapital-, sondern die Stimmrechtsmehrheit. Sind beispielsweise an der Mietergesellschaft mehrere Gesellschafter beteiligt, von denen keiner die absolute Stimmrechtsmehrheit besitzt, liegt eine Einflussänderung vor, wenn einer von ihnen eine solche Mehrheit erlangt (OGH 1 Ob 226/98a vom 28.9.1998). Umgekehrt vertrat der OGH die Auffassung, dass bei einer AG als Mietergesellschaft der Verlust der absoluten Mehrheit eines Aktionärs unter Erhalt seiner relativen Mehrheit keinen „Machtwechsel“ darstellt, wenn der Aktionär stets ein Verwaltungsratsmitglied stellen kann und keiner der übrigen Aktionäre mehr als drei Prozent der Aktienstimmen auf sich vereint (OGH 3 Ob 114/00m vom 25.4.2001).

Vermögenstransfer

Ein OGH-Senat vertritt eine abweichende Rechtsauffassung: Hienach soll der Vermieter zur Mietzinsanhebung berechtigt sein, wenn die Mehrheit der Anteile an der Mietergesellschaft anderen Personen als den bei Abschluss des Mietvertrages bestehenden zukommt. Nach dieser Vermögensverschiebungstheorie bedürfe es keines eigentlichen Machtwechsels. In der Regel ergäbe sich eine Änderung der rechtlichen und wirtschaftlichen Einflussmöglichkeiten bei einer Anteilsverschiebung von mehr als 50 Prozent. So sei es bei einer AG als Mietergesellschaft nicht erforderlich, dass ein Gesellschafter nach einem stückweisen Abverkauf von Aktien in Streubesitz die absolute Stimmrechtsmehrheit erlange (OGH 5 Ob 262/02v vom 10.2.2004). In einem anderen Fall wechselten bei einer als Verein organisierten Mietergesellschaft über die Jahre mehr als 50 Prozent der Mitglieder. Auf Grundlage der Vermögensverschiebungstheorie bejahte dieser OGH-Senat das Mietzinsanhebungsrecht des Vermieters: Überwiegend andere Vereinsmitglieder als die bei Abschluss des Mietvertrages bestehenden würden nunmehr in den Genuss des günstigen Mietzinses gekommen. Beachtenswert dabei ist, dass es zu keinem Machtwechsel kam, da kein Vereinsmitglied jemals eine Stimmrechtsmehrheit erlangte (OGH 5 Ob 284/97v vom 10.2.1998).

Dieser Auffassung widersprach ausdrücklich ein anderer, der Machtwechseltheorie folgender OGH-Senat. Dieser entschied, dass Anteilsübertragungen oder Umgründungen zwischen konzernverbundenen Gesellschaften – konkret der ÖBB und der später gegründeten ÖBB-Holding AG – nicht zu einer entscheidenden Änderung der Einflussmöglichkeiten führen können, wenn auf oberster Konzernebene die Einfluss ausübenden Personen unverändert bleiben (OGH 6 Ob 88/06v vom 24.5.2006). (Orlin Radinsky, Arno Brauneis, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20.2.2008)