Kunstvolle Sandsteinschnitzereien prägen das Stadtbild von Jaisalmer.

Foto: Knut Rakus

Julia und Knut sind ein Jahr auf dem Landweg durch Asien unterwegs. Nachdem sie in Delhi gelandet sind und dort ein paar Tage verbracht haben (siehe Reisebericht), geht ihre Reise weiter in Richtung Westen. Wie es ihnen in Rajasthan ergeht und was sie erleben, darüber berichten sie im folgenden Text.

Nach einer knapp 24-stündigen Zugfahrt erreichen wir den westlichsten Punkt unserer Überlandreise, die Kleinstadt Jaisalmer im Bundesstaat Rajasthan knapp vor der (geschlossenen) Grenze zu Pakistan. Zugfahren ist, wie jede Art der Fortbewegung für den Besucher Indiens, ein Erlebnis sondergleichen. Es gilt das Motto "der Weg ist das Ziel".

Rajasthan kommt dem oftmals verklärenden, leicht musealen Bild Indiens a là "1001 Nacht" am Nächsten. Das Straßenbild ist geprägt von bunten Turbanen und Saris, Kamelen und uralten Havelis. Letztere sind typische Bauwerke der Region die, wo sonst Temperaturen jenseits der 40 Grad herrschen, durch ihre spezielle Architektur immer einen angenehmen Luftzug und Schatten schaffen. Havelis sind außen wie innen kunstvoll und detailreich mit Ornamenten und Sandsteinschnitzereien verziert. Die Fenster sind so angelegt, dass zwar das, was Draußen passiert wahrgenommen wird, neugierige Einblicke in das Innere des Hauses aber verhindert werden. Dieses "Ausschließen" der Öffentlichkeit, bei gleichzeitiger Wahrung des Fensters als Fenster zur Welt, sieht man auch bei einem der faszinierendsten Bauwerke der Region – dem Palast der Winde in Jaipur. Dieser wurde errichtet um den Frauen des damaligen Maharajas als Ausblicksort zu dienen und diese gleichzeitig vor den Blicken Außenstehender zu schützen.

Stützpunkt für Armee und Touristen

Jaisalmer, wegen der dominierenden Sandsteinarchitektur auch die goldene Stadt genannt, ist mittlerweile ein Fixpunkt vieler Indienreisender. Die Stadt war bis zur Spaltung von Britisch-Indien und der damit verbundenen Schaffung und Schließung der Grenzen zwischen den beiden Nachfolgestaaten Indien und Pakistan, ein wichtiger Handelsknoten. Heute hat die Stadt vor allem strategischen und touristischen Wert. Neben der indischen Armee hat hier auch die täglich wachsende Armee der Touristen einen wichtigen Stützpunkt.

Blick vom Fort über Jaisalmer
Foto: Knut Rakus

Was der Monsun mit sich bringt

Zur Zeit unseres Besuchs erspart uns glücklicherweise der Monsun große Touristenmassen. Hier regnet es angeblich zum ersten Mal seit einigen Jahren und so gut dies der Landwirtschaft tut, so unvorbereitet trifft es die großteils aus Sandstein erbauten alten Bauwerke. In unserem Zimmer im Hotel Paradise (legendär ob seines Besitzers, der den Besucher lautstark mit den Worten „Welcome to Paradise my friend“ begrüßt) tropft es von der Decke. Durch die unverhoffte Feuchtigkeit haben wir von einem Tag auf den anderen plötzlich hunderte vielbeinige Mitbewohner in unserem Zimmer. Wir arrangieren uns und verteidigen unser Bett wie eine Insel, während wir den Rest des Zimmers evakuieren.

Trotz dieser klimatischen Umstände – tagsüber regnet es meist mehrere Stunden – genießen wir das touristisch beinahe ausgestorbenes Jaisalmer, saugen den indischen Alltag in den engen Gassen auf und genießen den Sonnenuntergang auf den nahen Dünen.

Flötenklänge in der Wüste

Am einem Abend waren wir mit einer Rikscha hinaus in die Wüste Thar gefahren, und hatten es uns auf einer Düne gemütlich gemacht. Nach einigen Augenblicken der völligen Stille in der scheinbar menschenleeren Wüste, staunten wir nicht schlecht, als aus dem Nichts ein Inder samt Flöte auftauchte und uns ein Ständchen darbot. Wohlgemerkt nicht aus reinem Altruismus, sondern aus, trotz Sprachbarriere, klar kommuniziertem Geschäftssinn. Indien, das Land in dem man nie alleine ist!

Foto: Knut Rakus

Als wir nach einer Woche Jaisalmer per Nachtbus und im strömenden Regen wieder verlassen, bekommen wir den Monsun kurz nach der Abfahrt so richtig zu spüren. Nicht nur ist die Straße durch die Wüste oft scheinbar verschwunden, müssen wir auch noch nach ein paar Stunden unsere Rucksäcke aus dem Kofferraum bergen, in dem knietief das Wasser steht. Als wir am nächsten Morgen mit fünfstündiger Verspätung Udaipur erreichen, sind wir entsprechend erledigt. Auch hier genießen wir die touristische Nebensaison. Nimmt man die fast täglichen Regenschauer in Kauf, so sei diese Reisezeit (mit Tagestemperaturen von mindestens 30 Grad) jedem Indienreisenden nur empfohlen, da zu dieser Zeit angenehm wenige Touristen unterwegs sind.

Filmkulisse Udaipur

Udaipurs Treffpunkt für Touristen, Pilger und Einheimische ist an den Ghats (heilige Badestelle der Hindus).
Foto: Knut Rakus

Udaipur ist vielen aus dem James Bond Film „Octopussy“ bekannt. Über der Stadt mit ihren engen Gassen ragt, wie so oft in Rajasthan, der Palast des Maharajas. Mitten im See, der diese Stadt dominiert und um den herum sich alles Leben abzuspielen scheint, liegt der ehemalige Sommersitz des Maharajas, heute ein Luxushotel der Sonderklasse. Nach einigen Tagen in Udaipur verlassen wir die Stadt in Richtung Bundi, einer der bis dato (weil relativ abgelegen) vom Tourismus noch nicht besonders erschlossenen Städte Rajasthans.

Die Ausnahme-Witwe und ein rauschendes Fest

Neben dem riesigen, verlassenen Palast des Maharajas, in dem wir viele Stunden verbringen, sind es zwei Dinge die Bundi für mich unvergessen machen. Da die Stadt touristisch, wie erwähnt, (noch) nicht sehr erschlossen ist, quartieren wir uns in einem der vielen Homestays ein. Das Haus wird von einer Witwe mit ihren drei Töchtern bewohnt. In einem Land, in dem die Gleichberechtigung der Geschlechter zwar in der Verfassung, aber bei weitem nicht im Alltag verankert ist, findet sich derartiges selten. Frauen wohnen bei der Familie ihrer Männer. Stirbt der Mann, so wird sie von der Familie verstoßen und gesellschaftlich oft ausgegrenzt. Dass sich eine Witwe ein funktionierendes Geschäft aufbaut und erhält ist selten. Umso mehr fühlen wir uns temporär in ihrer Familie aufgenommen, essen gemeinsam und fühlen uns wie zu Hause, während wir monsunbedingt wieder einmal im Dunkeln sitzen und unseren Thali teilen.

Der zweite Höhepunkt unseres Aufenthalts in Bundi ist eines jener bunten Feste, für die Indien so berühmt ist. Die ganze Stadt scheint auf den Beinen und verfolgt die ganze Nacht über einen bunten und lauten Umzug. Im Gegensatz zu vergleichbaren Festen in Europa, passiert hier derart ausgelassenes Feiern gänzlich ohne Alkoholkonsum. Wir lassen uns in der Masse mittreiben und genießen diese Momente.


Eines der vielen religiösen Feste in Bundi.

Unter Beobachtung

Nach einigen Tagen geht es weiter, wieder einmal in einem der von mir so heiß geliebten Sleeperbusse. Wir warten wegen monsunbedingtem Stromausfall ca. zwei Stunden in der Dunkelheit an einer Straße am Rand von Bundi, wobei wir von ca. 100 InderInnen genau beobachtet werden (wer schon einmal in Indien war, weiß wie genau man hier mitunter beobachtet wird). Irgendwann erscheint aus der Dunkelheit unser Bus und wir bekommen unseren Käfig. Sleeperbusse verfügen über jeweils übereinander angeordnete, ca. 1,5 x 1 x 1 Meter große Käfige, in denen man jeweils zu zweit „reist“. Gegen die völlig durchnässte Liegefläche hilft ein rasch organisierter Karton (nicht). Wir verbringen die Nacht mehr schlecht als recht an unsere Rucksäcke (der Kofferraum steht wieder einmal unter Wasser) gelehnt oder in Embryonalstellung auf besagtem Karton. Der einzige Lichtblick: Von unserem Käfig aus bleibt uns der Blick auf den Fahrer und dessen Fahrkünste verborgen.

Nach Ankunft (mit „nur“ vierstündiger Verspätung) am nächsten Morgen, geht's direkt weiter mit dem Zug Richtung Norden. Ziel sind die Ausläufer des mächtigen Gebirges, welches wir in den folgenden Wochen überqueren werden – der Himalaya.

Der ideale Einstieg

Der Aufenthalt ins Rajasthan diente uns auch der Akklimatisierung. Langsam realisieren wir, was vor uns liegt, realisieren die unglaubliche Freiheit und doch auch die zeitliche Begrenzung unserer Reise. Rajasthan ist meiner Meinung nach ein idealer Einstieg in die Vielfalt von „Incredible India“ und sei als solcher jedem ans Herz gelegt. Prägend für Indien und Grund für meine Liebe zu diesem Land, ist aber vor allem die unglaubliche Vielfalt und die erfährt wohl nur, wer viel Zeit in diesem Land verbringt und viele Ecken und Enden des Subkontinents kennen lernt. (Knut R.)