Eva Gantner: "Früher gab es die Vorstellung, vor allem für die Ärzte zu arbeiten. Der Gedanke von Teamarbeit am Krankenbett setzt sich aber langsam durch."

Foto: Standard/Matthias Cremer

Hanna Mayer: "Die Pflege ist in Österreich de facto eine Bildungssackgasse. Wir sind, was die Ausbildungsstruktur betrifft, das Schlusslicht in Europa."

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Figuren wie die hinterlistige Schwester Hildegard aus der Serie "Schwarzwaldklinik" sind dem Image der Pflege nicht gerade dienlich. Karin Pollack sprach mit der Pflegewissenschafterin Hanna Mayer und der Pflegeleiterin des Wiener Evangelischen Krankenhauses, Eva Gantner, über stockende Reformen und Hierarchien.

STANDARD: Patientenzufriedenheit im Spital hängt maßgeblich von guter Pflege ab. Was macht eine Krankenschwester aus?

Gantner: Eine gute Krankenschwester betreut nicht nur kranke Menschen fachlich fundiert, sie sollte es auch schaffen, in relativ kurzer Zeit eine zwischenmenschliche Beziehung herzustellen, eine Art Vertrauensverhältnis mit dem Patienten. Das erfordert viel soziale Kompetenz.

Mayer: Leicht ist es nicht, all diese Qualitäten unter einen Hut zu bringen. Einerseits sollten Krankenschwestern über Fachwissen, Erfahrung und logisches Denken verfügen und zudem strukturiert arbeiten, andererseits ist die Beziehung zum Patienten, das Eingehen auf individuelle Bedürfnisse ganz wichtig. Fachwissen nützt nichts, wenn ich nicht erkennen kann, was ein Mensch, der krank ist, gerade braucht.

STANDARD: Lernt man mit Menschen, die krank und in Extremsituationen sind, umzugehen?

Gantner: In der Krankenpflegeausbildung lernt man diesbezüglich einiges in der Theorie, viel wichtiger sind aber wahrscheinlich die Praktika, in denen man sich von erfahrenen Kolleginnen vieles abschaut. Die Vorbildwirkung darf hier nicht unterschätzt werden. Die Krankenpflegeschülerinnen kommen zwischen 17 und 18 Jahren auf die Station, sie sind unerfahren und orientieren sich an anderen. Was mir persönlich in meiner Zeit als Krankenschwester geholfen hat, war die Frage: "Wie würde es mir gehen, was würde ich brauchen, wenn ich jetzt hier als Patient wäre". Man muss sich einfühlen können.

Mayer: Empathie ist eine Schlüsselkompetenz für die Pflege. Fachwissen und Fachkompetenz sind der eine Teil, das "Sich-um-jemanden-sorgen" der andere. Wobei es sich eher um ein reflektiertes Mitfühlen handelt. Wer mitleidet, könnte ja den Beruf auf Dauer nicht ausüben. Das ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, oft viel schwieriger als technische Fertigkeiten wie Verband wechseln. Die meisten Menschen, denen es schlecht geht, wollen darüber reden. Also ist das aktive Zuhören eigentlich eine Pflegeaufgabe.

Gantner: Ganz genau. Viele Wünsche von Patienten kann man nicht erfüllen. Wenn man erklären kann, warum etwas nicht geht, wird das meistens auch akzeptiert.

STANDARD: Ist dafür genug Zeit?

Gantner: Klar gibt es Stresssituationen, aber sonst sollte es sich schon einteilen lassen. Ich unterscheide da sehr genau zwischen Beanspruchung und Überlastung.

Mayer: "Keine Zeit" ist das Killerargument für viele gute Initiativen. Deshalb ist es ganz wichtig, Kernaufgaben zu definieren. Wenn Patientenkontakt eine Kernaufgabe ist, dann ist "Plaudern" ein wichtiger Bestandteil der Arbeit und Patientenkontakt wird nicht als Defizit erlebt. Es gibt Studien, die eindeutig belegen, dass Belastung dann entsteht, wenn man zu wenig Nähe zum Patienten hat und nicht umgekehrt.

STANDARD: Wie gut ist generell die Ausbildung in Österreich?

Gantner: Im EU-Vergleich ist die Krankenpflegeausbildung inhaltlich gleichwertig. Die Ausbildung dauert in Österreich drei Jahre, zwischen 19 und 21 Jahren beginnen die meisten zu arbeiten.

Mayer: Inhaltlich ist das Curriculum vielleicht vergleichbar, nur unser Ausbildungssystem ist total veraltet. Die Ausbildung zum Krankenpfleger ist komplett vom allgemeinen Bildungssystem getrennt. Als Krankenpflegerin habe ich keinen Berufsabschluss, der von Bildungseinrichtungen im tertiären Sektor, also etwa von Universitäten, anerkannt wird, und das schränkt mögliche Perspektiven ein. Das ist nirgendwo sonst der Fall und dringend reformbedürftig.

STANDARD: Welche Optionen böten sich?

Gantner: Es gibt die Überlegung, die Ausbildung in Fachhochschulen einzugliedern.

Mayer: Das würde der Wissenschaftsentwicklung auch guttun. Dann würde die Ausbildung mit einem Bakkalaureat abgeschlossen, gleichzeitig hätten Absolventen auch die Berufsberechtigung für die Krankenpflege.

Gantner: Die medizintechnischen Dienste sind diesen Weg ja bereits gegangen.

Mayer: Nur die Pflege ist außerhalb des Bildungssystems geblieben und ist de facto eine Bildungssackgasse. Wir sind, was die Ausbildungsstruktur - nicht die Inhalte - betrifft, das Schlusslicht in Europa.

STANDARD: Was steht Reformen im Weg?

Mayer: Natürlich gibt es die Angst, dass sich dann der Krankenpflege neue Wege eröffnen und viele deshalb nicht im Beruf bleiben ...

Gantner: Aber das passiert doch auch so. Viele meiner Kolleginnen haben den Beruf verlassen, um die Studienberechtigungsprüfung zu machen und ein Studium zu beginnen.

Mayer: Man muss Menschen innerhalb der Berufsfeldes Pflege die Möglichkeit zur Höherqualifizierung geben. Die Weiterbildungen, die Krankenschwestern absolvieren, können nirgends angerechnet werden. Das ist ungerecht, zumal die Krankenpfleger und -pflegerinnen unglaublich fortbildungsfreudig sind.

STANDARD: Womit beschäftigt sich eigentlich die Pflegewissenschaft?

Mayer: Wir versuchen Erkenntnisse mit wissenschaftlichen Methoden zu generieren, um die Pflege zu verbessern - zum Beispiel das Thema Wundliegen. Da gibt es zwar viele Erfahrungen aus der Praxis, aber keine systematische Erfassung von Einflussfaktoren und Wirkungen pflegerischer Maßnahmen. Das ist eine unserer Aufgaben. Zudem versuchen wir aus praktischen Fragestellungen theoretische Konzepte zu generieren: "Wie entsteht Bettlägrigkeit?"

Gantner: Ich lese solche Studien sehr aufmerksam durch und gebe das Wissen dann weiter. Aber um solche Studien interpretieren und umsetzen zu können, braucht man eine Ausbildung, die im jetzigen Curriculum nur ansatzweise gegeben ist.

Mayer: Der Theorie-Praxis-Transfer ist komplex und ein wichtiger Punkt. Es muss in der Praxis Personen in Schlüsselpositionen geben, die wissenschaftliche Arbeiten lesen und interpretieren können.

STANDARD: Mit der demographischen Entwicklung lässt sich prognostizieren, dass Pflege ein Schlüsselthema der Zukunft ist. Was ist aus Ihrer Sicht wichtig?

Mayer: Seit Jahren kursiert das Schlagwort "ambulante vor stationärer Betreuung" durch gesundheitspolitische Diskussionen. Aber es passiert nichts. Es fehlt jede Systematik im Erarbeiten entsprechender Modelle. Möglichkeiten gäbe es genug, die Menschen schneller aus dem Spital zu bringen und mehr zu Hause zu betreuen.

STANDARD: Gibt es Anstrengungen, mehr Männer in den Pflegeberuf zu holen?

Mayer: Es ist ein traditioneller Frauenberuf. Pflegen ist für die meisten Männer einfach nicht attraktiv. Pflege hat auch kein hohes Prestige und keine politisch starke Lobby.

Gantner: Auch die vielen Arztserien im Fernsehen ändern nichts am Image des Pflegeberufs. In vielen Serien kommen nicht einmal Pfleger vor. Und männliches Pflegepersonal gibt es kaum.

Mayer: Wir haben vor einiger Zeit Inhaltsanalysen von Krankenhausserien wie "Schwarzwaldklinik", "Emergency Room" und "Klinik unter Palmen" gemacht. Da werden die übelsten Stereotype bedient.

Gantner: Man darf nicht vergessen, dass Krankenschwestern sich erst seit ganz kurzer Zeit bei Patienten mit Vornamen und Familiennamen vorstellen. Die Patienten dürfen sich dann aussuchen, wie sie das Pflegepersonal ansprechen wollen.

STANDARD: Das betrifft aber dann auch Spitalshierarchien?

Mayer: Natürlich. Der Herr Professor ruft die Schwester Susi - so war es lange Zeit, aber auch da ist Veränderung im Gange. Eine treibende Kraft ist das Konzept der Patientenorientierung, also die Vorstellung, dass Arzt und Schwestern gemeinsam für die Patienten arbeiten. Das weicht hierarchische Strukturen auf. Das Selbstverständnis zu ändern, geht nicht von heute auf morgen.

Gantner: Seit meinem Berufseintritt 1985 hat sich die Situation schon verändert. Früher gab es die Vorstellung, vor allem für die Ärzte zu arbeiten, Visiten vorzubereiten. Der Gedanke von Teamarbeit am Krankenbett setzt sich aber langsam durch - auch wenn nicht alles eitel Wonne ist.

Mayer: Die Pflege ist per Gesetz kein Hilfsberuf der Medizin mehr. Der Pflegewissenschaft wird vonseiten der Mediziner auch viel Akzeptanz entgegengebracht, weil sie sich mit Fragen befasst, deren Auswirkungen auch die Medizin spürt. Etwa Schmerzerkennung. Als Krankenschwester muss man Situationen richtig einschätzen können, sonst hilft die beste Therapie, das beste Medikament auch nichts. Krankenschwestern sind auch da, um zu beobachten. So profitieren beide Berufsgruppen voneinander zum Wohle des Patienten. (MEDSTANDARD, Printausgabe, 18.02.2008)