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Die Inflation macht Millionen Menschen in Pakistan zu schaffen. Nahrungsmittel werden immer teuerer. Wegen Verdachts auf Vogelgrippe mussten Tausende Geflügel notgeschlachtet werden.

Foto: EPA/Rahat
Nach der Wahl sind drastische Reformen notwendig.

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Vor dem staatlichen Supermarkt in Lahores Stadtbezirk Gulberg haben sich zwei lange Schlangen gebildet. In der einen stehen Frauen mit Kopftüchern an, in der anderen Buben und Männer. Die rund 100 Menschen wollen Ghee kaufen, Butterschmalz zum Braten. Man lässt sie nur einzeln in den Laden. Aus Angst vor Chaos. Zwei Stunden warte er bereits, schimpft Mohammed Yunus und wettert: "Musharraf ist der schlechteste Führer, den Pakistan je hatte. Schreiben Sie das." Die Menge johlt.

Als wären Bomben und Terror nicht genug, droht Pakistan nun auch noch eine Wirtschaftskrise. Und die könnte für Präsident Pervez Musharraf gefährlicher werden als die Protestbewegung der Anwälte und Juristen in ihren schwarzen Anzügen. Bisher ist die Masse der Menschen ruhig geblieben.

Preise galoppieren

Doch galoppierende Preise könnten den Volkszorn schnell hochkochen lassen. Wer immer nach den Wahlen heute, Montag, das 165-Millionen-Einwohner-Land regiert, steht vor schmerzhaften Entscheidungen.

Lange Schlangen vor den Staatsläden gehören inzwischen zum alltäglichen Bild. Erst war über Wochen Mehl so knapp, dass Soldaten die Staatsshops sichern mussten, um Krawalle und Unruhen zu ersticken. Nun mangelt es an Ghee. Und die Preise explodieren. 120 Rupien kostet das Kilo Ghee auf dem freien Markt. Das können sich viele nicht leisten. Sie stürmen die Staatsläden, die das Ghee für 67 Rupien abgeben.

Vielen Menschen fällt es immer schwerer, selbst Grundnahrungsmittel zu bezahlen. Die Inflation steigt rasant - allein im Jänner auf 18 Prozent. Der Preis für Atta (Getreidemehl) explodierte 2007 um 40 Prozent, der für Reis um 50 Prozent. Das trifft vor allem die Armen hart. Und damit nicht genug. Das Land ächzt unter einer Energiekrise. Über Stunden fällt der Strom aus. Dann sitzen die Menschen bei Kerzenschein und Petroleumfunzeln da. Und die noblen Shopping-Malls Lahores sehen mit ihrer Notbeleuchtung beinahe gespenstisch aus. Sogar Fabriken müssen ihre Arbeit einstellen. Die Menschen stehen auf der Straße.

Masse in bitterster Armut

Dabei galt die Wirtschaft bisher als eine der Erfolgsstorys von Musharraf, der das Land auf Reformkurs steuerte. Seit 2002 wuchs die Wirtschaft jedes Jahr im Durchschnitt um robuste 7,5 Prozent. Tatsächlich sehen einige Kenndaten heute besser aus als vor Musharrafs Machtübernahme 1999. So legte das rechnerische Pro-Kopf-Einkommen auf 925 Dollar zu. Doch das verbirgt, dass die Masse der Menschen in bitterster Armut lebt. Ein Drittel der Pakistaner muss monatlich sogar mit weniger als 16 Dollar auskommen.

Und es rächen sich Versäumnisse der Vergangenheit. Das Land kämpft mit gewaltigen strukturellen Problemen. Pakistans stolzes Militär mag zwar mit hochmodernen Waffen und neuester Technologie glänzen, aber die Infrastruktur hinkt hinterher. Bereits heute fehlen jedes Jahr 3000 Megawatt an Strom. Und die Stromkrise wird sich verschärfen, warnte die Weltbank. Ökonomen gehen davon aus, dass sich das Wirtschaftswachstum 2008 auf rund sechs Prozent abschwächt. Auch die ausländischen Investitionen brachen angesichts der unsicheren politischen Lage ein.

Ölpreis wird künstlich niedrig gehalten

Vor allem der hohe Ölpreis auf dem Weltmarkt bringt die Regierung in Nöte. Kaum etwas könnte die Massen in Pakistan schneller auf die Barrikaden treiben und Unruhen auslösen als steigende Benzinpreise. Auch in Burma hatte vergangenes Jahr der hohe Benzinpreis den schwelenden Volkszorn zum Überlaufen gebracht. "Die Regierung wagt es nicht, die Benzinpreise auf Marktniveau anzuheben", sagt Gregor Enste von der Heinrich-Böll-Stiftung in Lahore. Um den Preis künstlich niedrig zu halten, buttert der Staat immer mehr zu und muss immer mehr Kredite im Ausland aufnehmen. Dabei sei die Haushaltslage bereits heute katastrophal.

Die neue Regierung tritt daher ein schweres Erbe an. Und steht vor einem Berg ungelöster Probleme. Will sie den maroden Staatshaushalt sanieren und strukturelle Probleme angehen, muss sie den Menschen schmerzhafte Einschnitte zumuten und viel stärker als bisher auch die Reichen zur Kasse bitten. Ob die notorisch korrupte Politikerkaste Pakistans dies wagt, ist fraglich. Wie viele, glaubt Enste: "Nach den Wahlen fangen die Probleme erst richtig an." (Christine Möllhoff aus Lahore, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18.2.2008)