Cover: Fischer
Im Jahr 2006 erreichte eine Initiative in Berlin, dass ein Abschnitt der Kochstraße in Berlin-Kreuzberg nach Rudi Dutschke benannt wird – ausgerechnet jener Teil, in dem sich auch das Gebäude des Springer Verlags befindet. Die trifft in weiterer Folge im rechten Winkel auf die Axel-Springer-Straße und markiert so die alte Feindschaft. Die Umbenennung mag als Symbol dafür stehen, dass der Marsch durch die Institutionen, den Studentenführer Dutschke vor 40 Jahren ausrief, doch irgendwie erfolgreich war.

Götz Aly ist gegen die Umbenennung, wie er am Ende seines Buchs deutlich zum Ausdruck bringt. Bis dahin hat er auf ziemlich genau 200Seiten – es folgt noch ein Anmerkungsapparat von 40 Seiten – so ziemlich alles entzaubert, was vom 68er-Mythos bisher noch weiterlebte. Und nicht wenige, die damals an vorderer Front dabei waren und nachher Karriere machten, kriegen dabei ordentlich ihr Fett ab: vom ehemaligen Außenminister Joschka Fischer bis zum Ex-Kursbuch-Herausgeber Hans Magnus Enzensberger, von der Grünen Antje Vollmer bis eben – und vor allem – zu Rudi Dutschke.

Immerhin: sich selbst nimmt der streitbare Historiker, der mit seinen vieldiskutierten Büchern neues Licht auf den Holocaust und die Sozialpolitik der Nazis warf, ebenfalls nicht aus. "Obwohl es schwerer ist, über den eigenen Blödsinn zu schreiben als über den anderer Leute", wie der Autor im Standard-Gespräch unumwunden zugibt.

Mittendrin in der Revolte

Aly war nämlich mitten drin in der gescheiterten Revolte: Ende 1968 übersiedelte er nach Westberlin, wo er in den folgenden Jahren an der FU Berlin "mehr herumrevolutionierte als studierte", wie er schreibt. Damals gab es dort hervorragende Professoren: Ernst Fraenkel zum Beispiel oder Richard Löwenthal – jüdische Intellektuelle, die aus der Emigration nach Deutschland zurückgekehrt waren und nun mit einiger Irritation die Ereignisse beobachteten und diese durchwegs hellsichtig analysierten.

Den revolutionär gestimmten Studenten erschienen Löwenthal und Co damals allenfalls als Reaktionäre, was Aly heute besonders zu bedauern scheint. Denn sein Buch liest sich über weite Strecken wie eine Wiedergutmachung an seinen ehemaligen Lehrern, denen damals schon Parallelen der 68er zu den 33ern aufgefallen waren. Auf neue Quellen gestützt, baut der Spezialist für NS-Geschichte diese mitunter verblüffenden Ähnlichkeiten noch aus. Weitgehend rehabilitiert wird dagegen die damalige "politische Klasse": Aly konzediert Bundeskanzler Kiesinger von der CDU, aber auch Leuten wie Helmut Kohl, sich rund um 1968 durchwegs besonnen und vernünftig verhalten zu haben. Und auch diese Einschätzung ist (f)aktengestützt: Der Historiker hatte für sein Buch die Freigabe von bisher gesperrten Dokumenten unter anderem vom Bundesinnenministerium beantragt.

Zudem durchforstete Aly die Zeitungsberichterstattung rund um 1968 über die NS-Zeit und nimmt den bewegten Studenten auch noch eines der letzten ihrer bislang unangetasteten Verdienste: sich als erste Generation mit den NS-Verbrechen ihrer Väter beschäftigt zu haben. Das sei in der FAZ und in anderen Zeitungen passiert, während manche Radikale später sogar zum Antisemitismus neigten.

Ein wenig irritierend an Alys Abrechnung sind – neben ihrer mitunter doch etwas einseitigen Schonungslosigkeit – die manchmal allzu flotten Sprünge zwischen den Ereignissen von Mitte 1967 bis Ende 1969 und die Perspektivenwechsel vom Zeitzeugen zum Historiografen.

Dem unbestreitbaren Verdienst von "Unser Kampf 1968" tut das keinen Abbruch: einen Mythos endgültig entzaubert zu haben. (Klaus Taschwer, ALBUM/DER STANDARD, 16./17.02.2008)