Ankara/Wien - Die türkische Regierung hat einen neuen Reformvorstoß bezüglich des umstrittenen Artikel 301 des Strafgesetzbuches, des berüchtigten "Türkentum-Paragrafen", gemacht. Demnach soll künftig der Staatspräsident darüber entscheiden, ob ein Verfahren nach Artikel 301 eingeleitet wird oder nicht, berichtet "Turkish Daily News" am Donnerstag in ihrer Internet-Ausgabe.

Nach dem von EU und Menschenrechtsgruppen kritisierten Paragrafen waren zahlreiche Schriftsteller, Journalisten und Intellektuelle, darunter Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk, angeklagt worden.

Seit einer Gesetzesnovelle 2004 obliegt es der Staatsanwaltschaft, über die Einleitung eines Verfahrens zu entscheiden. Davor war dafür der Justizminister zuständig. Im Jahr 2006 wurde gegen 328 Personen nach Artikel 301 Anklage erhoben, in den ersten neun Monaten des Vorjahres waren es 182 Fälle.

Es wird erwartet, dass die allein regierende AKP von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan ihren Änderungsvorschlag erst dann im Parlament einbringen wird, wenn die Diskussionen über die Aufhebung des Kopftuchverbots an den Universitäten abgeklungen sind. Die kemalistische Opposition und Laizisten fürchten wegen der von der islamisch-orientierten AKP und der rechtsnationalistischen MHP beschlossenen Verfassungsreform eine schleichende Islamisierung der Türkei.

Akademiker-Kommission oder Justizminister

Der Vorschlag, das Staatsoberhaupt über die Einleitung eines Verfahrens nach Artikel 301 entscheiden zu lassen, stammt vom früheren Höchstrichter Sami Selcuk. Vizepremier Cemil Cicek hatte dagegen die Einrichtung einer Akademiker-Kommission vorgeschlagen, während Justizminister Mehmet Ali Sahin das Entscheidungsrecht wieder an sein Ressort übertragen wollte.

Neben der Zuständigkeit des Präsidenten für Artikel-301-Fälle sieht die Reformvorlage auch die Ersetzung des vagen Begriffs "Türkentum" durch "Türkische Nation". Außerdem soll die Klausel, wonach die Strafe um ein Drittel erhöht wird, wenn sie im Ausland begangen wird, ersatzlos gestrichen werden. Die Höchststrafe von drei Jahren Gefängnis soll auf zwei Jahre herabgesetzt werden. (APA)