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Weil dieser Bericht von einer Afrikareise handelt, müssen wir Vegetarier noch kurz um Geduld bitten. Leser tierischer Eiweißausrichtung stellen sich hingegen den idealen Reiseproviant so vor, wie man ihn jetzt, aber in Südafrikas wildem Osten, aus der Tasche zieht: Biltong heißen die zähen Trockenfleisch-Streifchen, und wer sie langsam zerkaut, im Idealfall mit einigen Schlucken Stellenboscher Weines herunterspült, sieht KwaZulu-Natals erstaunliches Panorama plötzlich mit weit geöffneten Geschmacksknospen vor sich.

Denn alles, was die paar Fahrstunden von Zululands Küste bis zu den weiter westlich gelegenen Drakensbergen zu sehen ist, hat sich irgendwie auch in die Proteine und Fasern des traditionellen Buren-Proviants eingeschlichen: das Leuchten des strohgelben Landes, das sich um Greytown in weiche Falten legt. Die Ruhe der schlanken Rinder neben den blitzblauen Seen hinter Himville und die hohen, wehenden Gräser, die so aussehen, wie sich der kleine Maxi die Pampas vorstellt, und die jetzt, im Winter, abgebrannt werden. Doch Zündeln ist nun Chefsache, es ist den besorgten Mienen der weißen Farmer anzusehen und den ausgedörrten Gräsern erst recht.

Kohlköpfe im Schlepptau

In verstaubten Pickups rollen diese Bauern vorbei, mit Orangen und Kohlköpfen im Schlepptau. Im Geiste steht wohl schon das frisch gezapfte Ale vor ihnen auf dem Tisch, das in urigen Pubs wie dem "Himville Arms" einen flüchtigen Moment lang an Englands Süden erinnert – ebenso, wie die schnurgeraden Alleen mit Blutbuchen und Pappeln und die mit weißen Holzlatten umzäunten Pferdegestüte das tun.

Am besten schmeckt Biltong in der ersten Reihe eines Picknickplatzes, der Amphietheatre heißt und der in der Tat etwas Theatralisches an sich hat. Wir sind am schönsten Aussichtsplatz der Drakensberge angelangt, an einer acht Kilometer breiten, geschwungenen Felswand, die in mehr als dreitausend Meter Höhe steil abfällt und am Ende der Wanderung über steile Eisenleitern erreicht werden kann. Der Lohn solcher Mühen: ein Sitzplatz mit Fließwasser, für ganz Mutige beinfrei, und mit herrlichem Panorama auf die Kulisse der düsteren Basaltflanken. Hier macht der Tugela River seine ersten Plätscherversuche, stürzt in dünnen Kaskaden den Steilhang hinunter – derselbe Fluss, der am Ende seiner Reise bei der Mündung Tugela Mouth in den Indischen Ozean die Grenze des Zululandes markiert.

Wer Südafrikas KwaZulu-Natal besucht, sollte sich besser schnell an extreme Vielfalt gewöhnen. Der Trip in die spektakuläre Bergwelt, die darunter ausgebreiteten, wie historische Inseln im rollenden Grasmeer auftauchenden Pionier-Sujets, sind nämlich bloß eine Option von vielen. Denn KwaZulu-Natal steckt voller Überraschungen. Klar: Weingärten und kapholländische Winzerkeller sind hier keine zu finden. Auch mit Straußenfarmen und Golfplatzidylle hält sich diese Gegend über weite Strecken eher bedeckt.

Aber dafür findet sich hier eine atemberaubend unverbrauchte Küste, die umso einsamer wird, je weiter man nach Norden kommt. Das Grundmotiv der Landschaft bleibt dabei über hunderte Kilometer gleich: uralte Sanddünen, über die quietschgrüner Schlingpflanzensalat hinaufturnt und hinter denen sich im Laufe der Jahrtausende das einzigartige Ökosystem des Sand Forest zurechtrappeln konnte.

Konzentrierte Schutzgebiete

Fast wie am Wildlife-Basar flitzen die zahlreichen Hinweisschilder zu Lodges und Tierschutzgebieten am Straßenrand der N2 vorbei. Hluhluwe-Umfolozi für Freunde der Spitzmaulnashörner, Tembe Elephant Park, das luxuriöse Rhinda Reserve – kaum eine Gegend Afrikas weist eine dichtere Konzentration an Schutzgebieten auf. Ebenfalls fix im Outdoor-Bild: die gleichmäßig wummernde Dauerwelle des badewannenwarmen Indischen Ozeans, der einmal samtblau und dann wieder mit hellgrüner Zunge über die ewig weiten Sandstrände leckt.

Davon ist am urbanen Gateway nach KwaZulu-Natal noch nicht allzu viel zu sehen. Für viele ist Durban, die Hauptstadt der Provinz, am schönsten, wenn die Skyline der City gerade noch hinter den großen Brechern des Indischen Ozeans hervorlugt. Die Umhlanga Rocks im Norden der Stadt sind so ein Platz. Typisch für die gut bewachten Villen-Enklaven und Apartment-Suburbs, die sich an der hier verlaufenden Dolphin Coast im weichzeichnerischen Dunst verlieren.

Adrett kommt Umhlanga in jedem Fall daher: ein sauber rot-weiß gestreifter Leuchtturm. Dekorative Tupfer von Bougainvilleen-Rouge am bleichen Fassadenkalk. Und natürlich flauschige Pool-Liegen auf dem gepflegten Hotelrasen. Ein zahmes Ferienidyll betuchter Weißer, an dem sommersprossige Kids zwischen bernsteingelben Klippen nach Krabben suchen und den Webervögeln mit Steinschleudern gegen die Nester ballern.

Doch keine Angst. Afrika ist näher, als man im Dickicht der Ruheständler-Villen und Ziergärten-Dschungel der Dolphin Coast denkt. Denn mit jedem Kilometer Richtung Norden wird Lifestyle ein wenig kleiner geschrieben und Wildlife größer. Dass Orte nach italienischen Socken genannt werden – wie im Falle der boomenden Resort-Stadt Ballito – kommt schon bald nicht mehr vor. Selbst die Ausläufer der Zuckerrohrplantagen ziehen sich allmählich zurück. Beim Küstenort Mtunzini immerhin weit genug, um seltene Baumarten wie die Raffia-Palme zur Hauptattraktion der Gegend zu machen.

Eine runde Sache

Bald tauchen Häuser mit Bubikopffrisur aus Stroh auf und fast genauso rundliche Arbeiterinnen am Straßenrand, die sich gegen das Gleißen der Sonne soeben orangefarbene Verkehrshütchen aufgesetzt haben. Unmerklich hat man am Tugela-Fluss ein Königreich betreten: Zululand.

Was nach Hollywood klingt, ist in Wahrheit die Lebensader der regionalen Identität. Das vermitteln sogar noch Schaudörfer wie das Dumazulu Cultural Village, in dem die Männer Antilopenfell-Minis und Ärmelschoner aus Federn tragen und voll Stolz auf jenen coolen Zulu-Gruß verweisen, der irgendwann über den Umweg amerikanischer Baseball-Hinterhöfe zu einer Art Weltkulturerbe aller Halbstarken wurde. Doch die Zulus haben mehr drauf als komplizierte Knöchelakrobatik: eine Garderobe aus bunten Perlenreihen etwa, hinter deren Farbkombinationen sich eine Art Geheimsprache verbirgt.

Eine Autostunde weiter ist der König der Zulus gerade Thema des Tages. Wir sitzen auf der Veranda der "Lidiko Lodge" in St. Lucia, dem touristischen Herzen der Region, und sehen der Sonne beim Sinkflug über der berühmten Lagune zu. Dass der Zulukönig eben erst Gast der Lodge war und die weiße Hausfrau vorab jede Menge Etikette pauken musste, dass sie beim Bedienen nur rückwärts gehen und ungefragt nicht reden durfte, schindet Eindruck – am meisten bei ihrem Ehemann. Anderes quittieren die Einheimischen bloß mit Achselzucken. Dass die Hippos neuerdings lieber am saftigen Rasenstreifen vor der Polizeistation weiden – das ist hier ganz normal.

Aber St. Lucia ist schließlich kein Ort wie jeder andere. Das verdankt das Städtchen allein schon seiner Lage zwischen der Küste und dem Lake St. Lucia, also dem Kernstück des Greater St. Lucia Wetland Parks, der 1999 Unesco-Welterbe wurde. Acht Ökosysteme gehen hier ineinander über, darunter das größte estuarine – von den Gezeiten geprägte – Wassersystem der Welt. Klar, dass sich hier Krokos und Hippos besonders wohl fühlen und die Wasservögel in großer Zahl anrauschen.

Die Geister scheiden sich

Spätestens hier scheiden sich denn auch die Geister. Beach oder Busch? Koralle oder Gnu? Bikini oder Büffel? Dass man durchaus beides haben kann, lassen bereits die weiter nördlich gelegene Sodwana Bay und der angeschlossene Ozabeni National Park erahnen. Luxuriöser fallen freilich die wenigen Resorts aus, die sich den Zugang zum Strand noch erschließen konnten, bevor endlich die gesamte Küste zum Nationalpark deklariert wurde. Wer in der Thonga Beach vom Moskitonetz seiner kreisrunden Designerhütte auf die markante Strandsichel hinunterblickt, weiß wohl, wie das gemeint ist. Und auch die im Sanddünenwald inszenierte Robinson-Crusoe-Romantik der benachbarten Rocktail Bay Lodge kann sich sehen lassen.

Dass sich das Management hier die Mühe macht, für jeden Gast als Willkommensgruß eine händisch an den Rändern angesengte Flaschenpost auszulegen, zeigt: Man hält das Robinson-Thema auch im Detail durch. Hier Schiffbruch zu erleiden ist jedenfalls kein Beinbruch. Dafür sorgen im Wald versteckte Hängematten und die vielen freundlichen Freitags, die vom Fünf-Uhr-Tee bis zum Dinner keine Wünsche offenlassen.

Doch auch Fans langer Strandspaziergänge kommen auf ihre Kosten – egal, in welche Richtung sie sich aufmachen. Bei Black Rocks, einer Klippe weiter im Norden, hat sich die See vorübergehend in ein schäumendes Monster mit wütendem Brandungs-Geifer und schwarzen Basalt-Fangzähnen verwandelt. Schlendert man in die Gegenrichtung, so tauchen hingegen die natürlichen Pools von Lala Nek auf – hüfttiefe, steinerne Badewannen, die man sich während der Ebbe mit Moränen, Rochen und bunten Fischen teilt. (Robert Haidinger/DER STANDARD/Rondo/15.2.2008)