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Berlin gab sich Madonna hin, Eugene Hutz sah seiner Regisseurin tief ins Auge und die umjubelte Diva präsentierte den Gästen der Filmfestspiele einen Streifen, der sich überraschend gut ins europäische Nachwuchskino einfügt .

Foto: APA/ EPA/ Joerg Carstensen

Der Musiker als männliche Domina: Gogol-Bordello-Vorstand Eugene Hutz in dem mit hysterischer Ungeduld auf der Berlinale erwarteten "Filth & Wisdom", dem Regiedebüt von Pop-Ikone Madonna (unten bei ihrer Ankunft)

Foto: Berlinale/Sektion Panorama

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Foto: AP /Miguel Villagran
Dabei präsentiert die 49-jährige Sängerin, Tänzerin und Kinderbuchautorin bloß ihr Regiedebüt, den an Independent-Kino erinnernden Film "Filth & Wisdom".


"Die Helden aus der Nachbarschaft" – so lautet der Titel einer charmanten kleinen deutschen Produktion, die bei der Berlinale in der Reihe Perspektive Deutsches Kino zu sehen ist. Der junge Regisseur Jovan Arsenic erzählt eine Berliner Kiez-Geschichte. Die handelt von einer Handvoll Menschen, welche auf unterschiedliche Art und Weise ihrem (Liebes-)Glück nachjagen und es am Ende dann auch finden, ohne dass sie dafür erst viel leiden müssten.

"Helden aus der Nachbarschaft" könnte dieser Tage auch als heimliches Motto für viele Festivalfilme gelten: Zum Beispiel kann man – statt dem Berliner Feuerwehrmann, der Bäckerin und der TV-Moderatorin – auch einem Musiker aus der Ukraine und seinen beiden Mitbewohnerinnen in London dabei zusehen, wie sie an der Verwirklichung ihrer Träume arbeiten. "Filth & Wisdom" heißt der Film, ein Regiedebüt, dem allerdings ungleich mehr Aufmerksamkeit zuteil wird als seinem deutschen Äquivalent. Und das hat ganz alleine damit zu tun, dass die Regiedebütantin sich in diesem Fall vorsorglich bereits als Sängerin und Gesamtkunstwerk einen guten Namen gemacht hat:

Das sorgte für erhöhtes Fanaufkommen und blockweise Abfertigung bei der Pressekonferenz. Trotz weltstarmäßiger Verspätung gab sich die Neoregisseurin dort Stunden vor der Galapremiere undivenhaft gut aufgelegt. Ihrem Hauptdarsteller, Gogol-Bordello-Vorstand Eugene Hutz, hätte sie sich ursprünglich selbst als obsessiver Fan genähert, gemeinsam habe man an seiner Rolle und Dialogen gefeilt – "und will jetzt womöglich jemand hören, wie Eugene einen Song spielt?" Sie fühle sich wohl gerade ähnlich wie alle anderen, die gerade frisch von der Filmschule kämen. Und dann holte Hutz die Gitarre vor, um die versammelten Medienvertreter mit einer Unplugged-Version von "Immigrant Punk" zu verabschieden.

Nettes Nachwuchskino

"Filth & Wisdom", der im Panorama läuft, ist für sich genommen auch alles andere als eine Sensation. Aber doch insofern bemerkenswert, als die Regisseurin eben nicht nur vor der Presse Understatement pflegt.

Im Film gibt es Slapstick, ein bisschen praktische Lebensberatung, Musikeinlagen von Gogol Bordello und vor allem viel Eugene Hutz in bunten Strümpfen oder lustigen Hosen. Und irgendwie kommt man bei all dem nicht umhin zu denken, dass "Filth & Wisdom" weniger nach exzentrischem Millionärinnenhobby aussieht, sondern sich erstaunlich gut in den Mainstream des europäischen Nachwuchskinos einfügt.

Aber vor dem Hintergrund eines Superstar-Auftritts lässt sich immer gut davon ablenken, was sich auf der Berlinale, und vor allem im Wettbewerb, sonst noch tut: So wurde mit Errol Morris' "Standard Operating Procedure" stolz zum ersten Mal ein Dokumentarfilm auf der Kandidatenliste für den Goldenen Bären präsentiert. Der Film des US-Regisseurs will quasi das Off der zu trauriger Berühmtheit gelangten Fotos ausleuchten, die Angehörige des US-Militärs 2003 im irakischen Gefängnis Abu Ghraib aufgenommen haben und die sie bei der systematischen Demütigung und Folter von Häftlingen zeigen.

"Standard Operating Procedure" erinnert gleich zu Beginn, wenn der Bombast-Score von Danny Elfman einsetzt, leider mehr an TV-History-Formate und Doku-Dramen denn an seriöses dokumentarisches Kino. Zum akustischen Kunstgriff kommen bald weitere: So ist einiger technischer Aufwand in die Produktion von Computeranimationen geflossen, die in 3D die kriminologische Aufarbeitung des Fotobestands veranschaulichen sollen.

Kunstblutstropfen

Und schließlich montiert Morris zwischen die Talking Heads, die in Großaufnahme ihre Aussagen zu Protokoll geben, und die notorischen Fotografien noch fragmentarische Reinszenierungen einzelner geschilderter Ereignisse: vom einsamen Kunstblutstropfen in Zeitlupe bis zum Aufschlagen eines Hühnereis – soll sich der damals noch flüchtige Saddam Hussein in der Küche seiner unfreiwilligen vorübergehenden Quartiergeber doch als Erstes einmal eine Eierspeis genehmigt haben.

Nicht erst angesichts solcher Bilder drängt sich beim Betrachten des Films die gute alte Frage nach dem Erkenntnisgewinn auf: Dieser ist nämlich denkbar gering. Vor Morris’ Kamera kommt etwa ein Dutzend in den Fall involvierter Personen zu Wort – Ermittler, die für die US-Gefängnisse im Irak zuständige ranghohe Offizierin und vor allem einige der (inzwischen verurteilten) Täter und Täterinnen. Letztere dürfen sich ausführlich erklären, selbst bezichtigen und schließlich teilweise entschulden ("Es wird dann immer den kleinen Leuten angehängt").

Der Film bleibt am Ende sowohl eine genauere Rückbindung an politische, strukturelle oder auch lebensgeschichtliche Zusammenhänge schuldig als auch eine konsequente Bildanalyse. Auf das Dokumentarfilmverständnis der Wettbewerbs-Auswahlkommission wirft "Standard Operating Procedure" kein gutes Licht. Aber mit dem Thema lässt sich womöglich gut bei einer Jury punkten. (Isabella Reicher aus Berlin / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 14.2.2008)