Santiago Calatrava schildert seine Projekte mit Eleganz. Planungspolitiker, wie hier der Wiener Stadtrat Rudolf Schicker, lauschen gerne

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Wiens Planungsstadtrat Rudolf Schicker will den spanischen Architekten Santiago Calatrava mit zwei Direktaufträgen betrauen: einem Fußgängersteg und einem Bahnhof. Denn architektonische Landmarks, so Schicker, gebe es hier kläglich wenige - mittels der Importarchitekturen wolle man den Mangel beheben.

Dazu seien mehrere Fragen gestattet, die Schicker zu beantworten derzeit trotz Anfrage des Standard nicht bereit ist. Denn das "Verständnis" der Architektenschaft für die Direktvergabe an den berühmten Kollegen, auf das er gehofft hatte, blieb nicht nur aus, sondern drehte in die Gegenrichtung. Die Architektenkammer rügte den Planungschef, er würde damit quasi zum Gesetzesbruch aufrufen.

Brücke ist kein Kunstwerk

Frage Nummer eins: Die Stadtplanung will die "Landmarks" zu Kunstwerken deklarieren und so das Bundesvergabegesetz "umschiffen". Wie soll das funktionieren? Christian Fink von der Vergaberechtskanzlei Haid Schiefer: "Zu sagen, eine Brücke oder ein Bahnhof seien Kunstwerke, geht ins Absurde."

Das ist eine Ansicht, die im vergangenen November auch ein spanisches Gericht mit dem Urteilsspruch, eine Brücke sei zuerst einmal eine Brücke und erst dann ein Kunstwerk, teilte.

Calatrava hatte die Stadt Bilbao geklagt, weil er eine Ergänzung seiner Brücke durch einen Fußgehersteg als Schändung des "Kunstwerks" empfand. Bilbaos Bürgermeister Inaki Azkuna polterte: "Wir haben genug von dieser Calatrava-Diktatur!" Dutzende Bürger hätten sich verletzt, weil sie bei Regen auf dem zu rutschigen Belag des Calatrava-Konstruktes gestürzt seien.

Frage Nummer zwei: Warum will man ausgerechnet Calatrava nach Wien holen? Die besten Brückenbauerzeiten hat der charismatische Showman hinter sich, in Fachkreisen schätzt man seine postgotischen Konstruktionen, denen er gerne ein gewisses Organik-Pathos verleiht, keineswegs.

"Kitsch"

Calatrava, sagt der renommierte Londoner Architekturspezialist und Ex-Domus-Herausgeber Deyan Sudjic, befinde sich längst "auf der falschen Seite des Kitsch". Und selbst die trockene Neue Zürcher Zeitung ätzte scharf, der spanische Architekt gelte manchen als "Blender, wenn nicht als Scharlatan", und auf seine Formensprache vertrauten heutzutage höchstens noch "ikonenbedürftige Politiker".

Der Wiener Statikprofessor Wolfdietrich Ziesel meint pragmatisch: "Er ist ein sehr netter Kollege, aber er hat offensichtlich von Statik und Konstruktion keine Ahnung." Und Kollege Wolfgang Vasko bestätigt die These: "Er führt die Lasten spazieren, statt eine sinnhafte Konstruktion zu entwerfen." Fazit Ziesels: "Calatrava ist weder Architekt noch Ingenieur, sondern ein Künstler, der sich blendend selbst vermarktet."

Die letzte Frage, warum es in Wien keine Architekturhighlights gibt, kann letztlich nur Planungsstadtrat Schicker selbst beantworten: Der Sozialdemokrat ist seit 2001 im Amt, und allein an der Unfähigkeit der hiesigen Architektenschaft kann es nicht liegen. (Ute Woltron, DER STANDARD Printausgabe, 9./10.2.2008)