Chronik einer Passion: Yasuzô Masumuras Lieblingsaktrice Ayako Wakao (li.) und Kyôko Kishida in "Manji".

Foto: Filmmuseum

Wien – Die Filmgeschichte ist gewiss nicht arm an sonderbaren Beziehungsreigen, aber so mitreißend wie in "Manji" ("Wirrungen", 1964) geht es nicht allzu oft zu. Zwei Frauen sind hier in Leidenschaft füreinander entflammt – Sonoko, eine gelangweilte Ehefrau, und Mitsuko, eine Schönheit, die nur wenig von sich preisgibt. Schon der erste körperliche Kontakt zwischen den beiden lässt erahnen, dass diese Art Anziehung kein Maß kennt. Wie eine Raubkatze fällt Sonoko über ihre Eroberung her und zerreißt die Bettlaken.

Tatsächlich kennt diese lesbische Liebe keine Ökonomie, und so wird das Verhältnis geradezu unkontrollierbar, als noch zwei Männer hinzukommen. Wer hier wen betrügt und welche Allianz mit welchem Hintergedanken schmiedet, das wird irgendwann uneinsehbar. Ständig werden rote Kuverts mit Gift eingenommen, dann wachen die Verzweifelten aber doch aus ihrem Koma auf und finden sich plötzlich auf der Verliererseite wieder. "Manji" ist einer der international besser bekannten Filme des japanischen Regisseurs Yasuzô Masumura, dem das Filmmuseum in diesem Monat eine Retrospektive widmet. Sein Werk – es besteht aus annähernd 60 Filmen – gilt als uneinheitlich, besticht aber durch seine Neigung zu Protagonisten, die sich verausgaben, bis an den Rande des Wahnsinns. Masumuras Kino ist eines der Negation, es richtet sich etwa gegen den Determinismus sozialrealistischer Ansätze: "Mein Ziel ist eine übertriebene Darstellung, eine, die Ideen und Passionen von Menschen zeigt."

Mit seiner Vorliebe für grelle Effekte und kunstvolle Stilisierungen nahm Masumura Stilmittel der kurze Zeit später einsetzenden neuen Welle, etwa von Filmen Nagisa Oshimas, vorweg. Dabei blieb er zeitlebens ein Studioregisseur bei Daiei und wurde dort für seine Produktivität – bis zu drei Filme pro Jahr – geschätzt. Es heißt, er sei durch das europäische Kino geprägt gewesen, während seiner Studienzeit in Rom sollen Michelangelo Antonioni und Luchino Visconti unter seinen Lehrern gewesen sein.

Am Neorealismus schätzte Masumura vor allem die Vitalität seiner Helden. Es finden sich aber auch Filme in seinem Schaffen, die sich schonungslos mit der Gegenwart seines Landes befassen. "Kyojin to gangu" ("Giganten und Spielzeuge", 1958) und "Kuro no Test Car" ("Der Schwarze Testwagen", 1962) beschäftigen sich mit dem neuen Unternehmertum jenes Kapitalismus, der Nachkriegsjapan mit Wucht veränderte. Die Effekte verhandeln die Filme als Verlust an moralischer Integrität.

Werbung für Süßes

In der Marketingsatire "Kyojin to gangu" konkurrieren drei Süßigkeitenhersteller bis aufs Blut um die Dominanz am Markt. Eine neue PR-Offensive muss her, die dann anhand eines jungen, unverbrauchten Mädchens, das zum Star aufgebaut werden soll, beispielhaft dargestellt wird. Ironischerweise hat sie schlechte Zähne. Mehrmals in diesem Film zeigt Masumura sequenzartig, wie sich industrielle Prozesse – und dazu zählt eben auch die Bilderfabrikation – wie von selbst ihrem Ziel entgegenbewegen.

Was auf der Strecke bleibt, ist die Freiheit des Menschen, der seine Identität nur noch aus seiner Arbeit bezieht. Der von seinem Erfolgstrieb aufgefressene Marketingchef hustet zwar am Ende Blut, bellt aber immer noch im Befehlston herum. Masumura erweist sich als entschiedener Gegner von Konformismus – egal, ob dieser auf traditionellen Verhaltensregeln oder modernen Managementphilosophien beruht. (Dominik Kamalzadeh / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7.2.2008)