Wien – Vielleicht hat sich Joachim Löw (48) am Dienstag daran erinnert, dass er vor nicht einmal vier Jahren ziemlich regelmäßig in Wien Pressekonferenzen gegeben hat. In einem Kammerl im nicht unbedingt schmucken Horr-Stadion, aber Trainer der Austria haben bis heute noch keine Alternative.

Bis zu vier Journalisten lauschten, wenn Löw auf ein spektakuläres Match gegen das mittlerweile aufgelassene Pasching oder den insolventen GAK vorausgeblickt hat. Frank Stronach hat die Sache ziemlich spontan beendet, Löw wurde rausgeworfen.

Nun sitzt er als Bundestrainer der deutschen Nationalmannschaft da, aus dem Kammerl in Favoriten ist der imperiale Festsaal im Hotel Bristol an der Ringstraße geworden. Kaum 400 Journalisten sind mitgereist, sie nahmen die einstündige Verspätung gelassen hin (Stau am Frankfurter Flughafen), ungefähr 25 Kameras filmten den Auftritt. Löw sagte, dass er sich freue. „Auf das Spiel gegen Österreich. Der EURO-Countdown beginnt jetzt.“ Ob kein Sieg gegen Österreich unangenehm wäre? „Es ist ein Freundschaftsspiel, kein Härtetest. Dennoch wollen wir alles daran setzen zu gewinnen.“

Man soll sich zwar am Unglück des anderen niemals ergötzen, aber auch Löw hat Probleme. Das Abschlusstraining im Happel-Stadion war die einzige gemeinsame Übungseinheit. Stammspieler fehlen wegen Verletzungen, in der Abwehr muss improvisiert werden, bei Standardsituationen war die deutsche Elf zuletzt kaum gefährlich. „Man hat wenig Zeit. Die Spieler müssen Eigenverantwortung zeigen. Die Elite ist mehr gefordert als der normale deutsche Bundesligakicker. Damit sie bei der EURO zur Hochform aufläuft.“ Er warnte davor, die Österreicher zu unterschätzen. „Weder am Mittwoch noch bei der EURO. Wir selbst haben bei der WM erlebt, wie sehr sich der Heimvorteil auswirken kann.“

EURO-Feinschliff

Löw baute nicht für den unwahrscheinlichen Fall einer Peinlichkeit vor, er stellte lediglich fest. „Das ist so. Teamchefs haben fast überall nicht die besten Voraussetzungen. Die Spieler müssen sich im Alltag bei den Klubs vorbereiten. Wir können vor der EURO nur den Feinschliff machen. Und Gespräche führen.“

Einer von circa 128 Vorteilen der Deutschen gegenüber den Österreichen ist gewiss die Rückkehr von Kapitän Michael Ballack. Elf Monate musste er dem Mittelfeld fernbleiben, Knöcheloperationen verhinderten eine aktive Rolle. Nun ist er wieder eine Stütze bei Chelsea. „Ich freue mich. Das Team hat sich auch während meiner Abwesenheit entwickelt. Obwohl es zuletzt leicht ins Stottern geraten ist.“ Ballacks Wade zwickt kaum mehr, die Platzwunde am Kopf ist zu vernachlässigen. Natürlich sind ihm Namen der Österreicher bekannt. „Aber wir treten nicht gegen Namen, sondern gegen ein Team an.“

Am 15. Juni werden die beiden wieder in Wien sitzen. Am Tag vor dem EURO-Match. Vielleicht erinnert sich Löw dann an den 6. Februar.

Wobei man den Gegner natürlich niemals unterschätzen darf. Löw kennt Wien, und er wird es im Juni wieder besuchen. (Christian Hackl - STANDARD PRINTAUSGABE 6.2. 2008)