Strengere Regeln und Strafen soll jetzt für mehr Ruhezeiten Sorgen.
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Linz - Das Wort "Reoperationsrate" klingt harmlos. Die nähere Erklärung beunruhigt schon eher: Gemeint ist eine "ungeplante Rückkehr" in den Operationssaal: Betroffen sind Patienten, bei denen ein chirurgischer Eingriff einen weiteren notwendig macht. Nun ist unbestritten, dass jede Operation ein Restrisiko in sich birgt. Brisant wird die Sache aber, wenn sich ein direkter Zusammenhang zwischen der Dienstzeit des Operateurs und der Reoperationsrate herstellen lässt.

Doppeltes Risiko

Eine Studie des Chirurgen Kurt Adamer, Oberarzt am Landeskrankenhaus Steyr, bestätigt diese Annahme. Der Mediziner hat sich 20 Monate lang mit den Arbeitszeiten heimischer Mediziner beschäftigt. "Das Ergebnis war eindeutig: Unabhängig von Alter und Erfahrung steigt nach 24 Stunden im Dienst die Reoperationsrate auf das Doppelte an", erläutert Adamer im Gespräch mit dem Standard.

Konkret: Nach 12 Stunden Dauerdienst liegt die "Chance" auf eine Rückkehr in den OP bei 2,5 Prozent, nach 24 Stunden bei 4,8 Prozent. "Ein Mensch wird einfach müde. Und Ärzte sind Menschen, auch wenn sie es manchmal vergessen", mahnt der Mediziner.

Jüngste Schwerpunktüberprüfungen des Arbeitsinspektorats zeigen, dass dringender Handlungsbedarf herrscht. Laut Ärztekammer hatten 70 Prozent der überprüften Krankenhäuser die gesetzlich festgelegten Arbeitszeiten - bis zu 72 Stunden Arbeitszeit pro Woche und bis zu 49 Stunden durchgehend im Dienst - nicht eingehalten. Manche Ärzte hätten gar über 100 Stunden in der Woche gearbeitet, kritisiert Ärztekammer-Vizepräsident Harald Mayer.

Mögliche Folgen des ärztlichen Dauerdienstes werden in Adamers Studie geschildert: "Tatsächlich wurde ich selbst Zeuge von - öffentlich freilich nicht bestätigten - Berichten über Ärzte, die im Dienst Herzinfarkte erlitten, von Schlaganfällen am OP-Tisch, Abteilungen, in denen alle Nachdienst verrichtenden Ärzte geschieden und chronisch krank waren." Suchtkrankheiten und Depressionen seien in der Ärzteschaft jedoch "besondere Tabus", fasst Adamer zusammen.

Arbeitsminister Martin Bartenstein (ÖVP) und die Ärztekammer planen jetzt eine rigorose Vorgangsweise gegen Betreiber von Spitälern, in denen Ärzte erst nach mehr als 72 Stunden Wochenarbeitszeit den weißen Kittel an den Nagel hängen. Ärztekammer-Vize Mayer sieht vor allem gesetzliche Lücken. Die verantwortlichen Manager würden "kaum gestraft".

"Wenn dort der Arbeitsinspektor Arbeitszeitüberschreitungen feststellt, schreibt er einen Bescheid, der auch dem Krankenhausträger zugestellt wird. Dieser aber landet dann im Regelfall in einer Lade, denn Sanktionen können nicht ausgesprochen werden", kritisiert Mayer. Der Hintergrund laut Ärztekammer: Wenn öffentlich Bedienstete zu lange gearbeitet haben, kann nicht gestraft werden. Für Bartenstein ist klar, dass bei schwerwiegenden Übertretungen auch Sanktionen möglich sein müssen: "Sonst funktioniert es nicht. Wir sind da in Gesprächen mit den Ländern und den Sozialpartnern."

EU im Wartezimmer

Wenig von Strafen hält hingegen Studienautor Adamer: "Das nützt nichts. Es braucht eine intelligente Lösung. Es ist möglich, die Dienstzeiten ohne finanziellen Mehraufwand zu verändern". Wenn etwa vier Ärzte sich einen 48 Stunden-Dienst teilen würden, koste es nicht mehr, bringe aber viel. Spannendes Detail: Die EU schreibt punkto ärztlicher Dienstzeiten innerhalb von 24 Stunden eine elfstündige Ruhezeit vor.

Bereits mit einer Anzeige des Arbeitsinspektorats sieht sich die Medizin-Universität Wien (MUW) konfrontiert. Nach einer Untersuchung im Mai vergangenen Jahres erfolgte im September eine Anzeige mit einer angedrohten Strafe in Höhe von 240.000 Euro. Die Summe ist deshalb so hoch, weil es sich um eine kumulative Strafe handelt, wo jeder einzelne Fall geahndet wird. Seitens der MUW ist man zuversichtlich, eine Verurteilung abwenden zu können. Denn bei inhaltlicher Begründung dürfe die Arbeitszeit überschritten werden.

In den privaten Krankenanstalten werden die Arbeitszeitbestimmungen offensichtlich eingehalten. "Da kommt es in Österreich zu keinen Überschreitungen des Arbeitszeitgesetzes bei Ärzten", erläutert Julian Hadschieff, Obmann des Fachverbandes der privaten Gesundheitsbetriebe in der Wirtschaftskammer. (Markus Rohrhofer/DER STANDARD, Printausgabe, 5.2.2008)