Die Kreditkrise? "Ich hab's ja immer gesagt. Dafür wurde ich ausgelacht": Jim Rogers in Wien.

Foto: Standard/Matthias Cremer
Vor zwei Jahrzehnten wurde der amerikanische Investor Jim Rogers als starker Befürworter der Wiener Börse bekannt. Mittlerweile hat er sich aus den USA und von ihren Finanzwerten zurückgezogen und bevorzugt Asien und den Rohstoffmarkt. Im Gespräch mit Michael Freund erklärt er seine Sicht der Dinge.

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STANDARD: Wie würden Sie die aktuelle wirtschaftliche Situation in den USA bezeichnen?

Rogers: Amerika ist zweifellos in einer Rezession. Die Immobilien-, Auto- und Finanzbranchen sind noch schlimmer dran - in einer Wirtschaftskrise (Depression), wie es sicher jeder in der Baubranche nennen würde.

STANDARD: Was ist daraus zu lernen?

Rogers: Dass man keine zu leichten Kredite vergeben soll. Dass man keine Häuser und auch sonst nichts herschenken soll. Die Krise wurde durch die schlimmste Kredit-Blase verursacht, die wir je in Amerika erlebt haben. Kreditoren werden jetzt vorsichtiger sein, die nächste Generation wird keine verrückten Kredite vergeben, aber die darauffolgende wird es wieder tun. Das passiert immer so.

STANDARD: Davor warnen Sie seit letztem Frühjahr. Meinen Sie jetzt, Sie haben's ja immer gesagt?

Rogers: Nun, ich hab's ja immer gesagt (lacht). Dafür wurde ich ausgelacht, daher wusste ich, dass ich recht hatte. Ich habe große Wall-Street-Werte wie Fanny Mae oder von der Citibank leerverkauft.

STANDARD: Wer scheint jetzt dazuzulernen?

Rogers: Möglicherweise die Notenbankiers weltweit. Zu meiner Freude hat Ihr Kanzler, Alfred Gusenbauer, öffentlich erklärt, dass man nicht dasselbe wie die Amerikaner tun solle (den Leitzins herabsetzen, Anm.). Ich denke, er hat recht, das war ein schwerer Fehler. Das wird zu noch höherer Inflation führen, zu einer noch schlimmeren Rezession. Oft ist es besser, eine Rezession geschehen zu lassen, als sie mit allen Mitteln zu mildern. Wir haben alle fünf, sechs Jahre eine, das ist nicht weiter schlimm.

STANDARD: Sie kommen gerade von Kanzler Gusenbauer. Wie ist Ihre Beziehung zu ihm?

Rogers: Wir besprechen informell finanzielle und wirtschaftliche Angelegenheiten. Nochmals, ich finde es sehr gut, dass er in Davos die Hoffnung ausgedrückt hat, dass die Europäische Zentralbank (EZB) nicht den Fehler der Federal Reserve wiederholt. Und auch, dass er aus Wien wieder einen starken Finanzplatz insbesondere für Osteuropa machen will.

STANDARD: Sie gelten ja als derjenige, der die Börse hier Mitte der Achtzigerjahre "wachgeküsst" hat.

Rogers: Vielleicht kann ich auch ein wenig zu dieser zweiten Phase beitragen.

STANDARD: Sie haben einen nach Ihnen benannten Commodities Index geschaffen. Viele Rohstoffe werden in Dollar gehandelt - wie lange noch?

Rogers: Irgendwann wird der Dollar seinen Status als Reservewährung der Welt verlieren. Die Menschen wenden sich jetzt schon ab, vor allem die Feinde Amerikas, wie Venezuela oder der Iran.

STANDARD: Ist das wirtschaftlich oder politisch motiviert?

Rogers: Beides. Auch einige Freunde Amerikas sagen jetzt: Moment mal, vielleicht stimmt was nicht mit Amerika, und wir sollten diversifizieren. Um darauf zurückzukommen: Die Währung zu entwerten hat noch nie zum Erfolg geführt.

STANDARD: Ist Amerika auf dem rechten Weg?

Rogers: Amerika ist eine reife Gesellschaft. Aber es hat sich übernommen - geopolitisch, militärisch, finanziell, in fast jeder Hinsicht. Seine Position als Leitsymbol wird schwächer, sicher im Vergleich mit Asien, wahrscheinlich auch mit Europa.

STANDARD: Was würden Sie dem nächsten Präsidenten empfehlen?

Rogers: Zurückzutreten (lacht). Schauen Sie, die Probleme lassen sich lösen. Aber wer mit dem Programm antritt, dass man das ganze System ändern müsse, der wird nicht gewählt. Man müsste das Steuersystem ändern. In den USA besteuern wir Ersparnisse und Investitionen - erfolgreiche Staaten besteuern den Verbrauch. Das Erziehungssystem müsste geändert werden, ebenso das Gesundheitssystem: Wir geben vier- oder fünfmal so viel dafür aus wie alle anderen, und unsere Gesundheitsfürsorge landet auf dem 22. oder 23. Platz. Unsere Anwälte prozessieren und klagen jeden nieder, das verursacht enorme Zusatzkosten.

Außerdem müssten unsere Grenzen für Immigranten geöffnet werden. Und noch etwas: Amerika hat Truppen in rund 120 Ländern der Welt stationiert. Bringt sie nach Hause! Wir machen uns nur Feinde, unser Land nicht sicherer, und es kostet uns ein Vermögen.

STANDARD: Das sagte der aussichtslose republikanische Präsidentschaftskandidat Ron Paul. Sie meinten einmal, ihn würden Sie wählen.

Rogers: Ich habe gesagt, er sei der Einzige, der die Situation versteht. Aussichtslos? Wir werden es im November sehen. Zurzeit hat er keine Chancen.

STANDARD: Was ist mit denen, die eine Chance haben?

Rogers: Ich würde keinen von ihnen wählen. Ich habe noch nie für den Sieger gestimmt, immer als Protest. Wenn wir immer nur Flaschen wählen, dann werden uns immer nur Flaschen beschert. Vielleicht werden wir eines Tages verstehen, dass wir diese Flaschen nicht wählen sollen.

STANDARD: Apropos, vergangenen November nannten Sie den Fed-Chef Ben Bernanke "entweder einen total Verrückten, einen Scharlatan oder einen kompletten Lügner". Stehen Sie dazu?

Rogers: Ich denke, er ist kein Lügner. Er ist nur ein Dummkopf. Er versteht nichts von Wirtschaft, von Märkten, von Währungen. Was er seit November gemacht hat, bestätigt mich darin. Bei Gott, er ist verrückt! Er signalisiert dem Rest der Welt: Uns ist der Wert des Dollars egal. Jeder, der versteht, was er da sagt, setzt auf den fallenden Dollarkurs. Auch ich.

STANDARD: Wenn Sie das tun und generell Amerika den Rücken zuwenden, werden Sie deshalb manchmal als unpatriotisch beschimpft?

Rogers: Von Verrückten immer wieder. Meine Antwort darauf ist: Ich dachte, dies ist Amerika, und als Amerikaner kann ich leben, wo ich will. Und das Finanzielle: Nun, man kann die Realität anerkennen und sich schützen, oder man kann mit den anderen den Bach runtergehen.

STANDARD: Sie befürworten jetzt Investitionen in China, so wie Sie früher die Wiener Börse favorisiert haben.

Rogers: Da bin ich immer noch gerne, die Wiener Börse ist besser dran als andere. Aber ich habe dort weniger Aktien als früher. Momentan sind mir Rohstoffe und Währungen lieber. DER STANDARD, Print-Ausgabe, 04.02.2008)