Zur Person

Anne-Marie Slaughter (49) ist Dekanin der Woodrow Wilson School, Princeton University. Sie nahm vergangene Woche auf Einladung des Instituts für die Wissenschaften vom Menschen und des Standard an der Debatte "The World Disorder and the Role of Europe" teil.

Foto: Matthias Cremer
Die Politologin Anne-Marie Slaugther sieht die US-Außenpolitik an einem Wendepunkt. Die US-Beziehungen zur Welt müssten neu definiert werden, sagte sie zu Christoph Prantner.

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STANDARD: Die US-Wirtschaftskrise ist Top-Thema. Welche Bedeutung hat die Außenpolitik noch im Wahlkampf?

Slaugther: Der Irak ist ein zentraler Punkt, Symbol für alles, was in der US-Außenpolitik der vergangenen Jahre schiefgelaufen ist. Für viele demokratische Wähler hat er immer noch Prioritätsstufe eins. Der größte Unterschied zwischen Demokraten und Republikanern ist eine andere Auffassung von Sicherheitspolitik. Das demokratische Konzept schließt Armut, Umwelt- oder Gesundheitspolitik als fundamentale Themen ein.

Hillary Clinton und Barack Obama sprechen viel über die Nord-Süd-Problematik und über Globalisierungseffekte als Sicherheitsfragen. Das zweite ist: Die Demokraten sind sehr bemüht, die moralische Autorität der USA in der Welt wiederherzustellen. Sie wollen den Schaden, den die Bush-Administration angerichtet hat, wiedergutmachen.

STANDARD: Und die Republikaner?

Slaugther: John McCain ist sehr aggressiv in Sachen Iran, aber er spricht auch von Klimawandel oder Immigration. Ich denke, das Gerede vom Islamofaschismus (vom ausgestiegenen Rudolph Giuliani oft angesprochen, Anm.) wird kein großes Thema sein. Die große Unbekannte allerdings ist, ob es im Verlauf der Kampagne einen Terroranschlag in den USA gibt. Passiert etwas, dann wird sich zeigen, ob die Amerikaner zur Devise zurückkehren' Terroristen in Übersee zu bekämpfen, oder ob sie verstanden haben, dass dieser Ansatz George W. Bushs gescheitert ist.

STANDARD: Sie haben den miserablen Ruf der USA in der Welt erwähnt. Was kann eine neue Regierung dagegen tun?

Slaugther: Guantánamo könnte geschlossen, die Genfer Konvention erneut bestätigt, Klimaschutzmaßnahmen angegangen, die Gegnerschaft zum Internationalen Strafgerichtshof könnte relativiert werden. Die Frage ist zudem: Finden die USA einen neuen Führungsstil? Wir sind es nicht gewohnt, in einem kooperativen Umfeld zu arbeiten. Wir müssen mehr überzeugen, nicht befehlen. Die Demokraten würden sich dabei leichter tun. STANDARD: Was ist mit dem transatlantischen Bündnis?

Slaugther: Nicolas Sarkozy liebt die Amerikaner, Angela Merkel auch. Gordon Brown will ein enges Verhältnis zu Washington. Ich denke, die europäischen Regierungen wollen gemeinsame Sache machen. Auch wenn die öffentlichen Meinungen in Europa antiamerikanisch gefärbt sind. Die wirkliche Frage betrifft die islamische Welt. Wenn wir dort nicht imstande sind, unsere Politik - Stichwort Israel/Palästina und Irak - zu modifizieren, haben wir weiter ein riesiges Problem.

STANDARD: Welcher der Kandidaten könnte der Präsident der Versöhnung mit dem Islam sein?

Slaugther: Barack Obama ist sicher ein guter Tipp, wenn es um Soft Power und Symbole geht. Er hat in Indonesien gelebt, versteht die Muslime. Aber kein durchschnittliches Kind in einer pakistanischen Madrassa kümmert es, wie der US-Präsident ausschaut.

Dafür zählt umso mehr, wie die USA mit den Palästinensern umgehen, was sie im Irak tun, wie sie die islamische Welt generell behandeln. Wir können uns keine Fehler mehr erlauben. Deswegen zählt auch Erfahrung. Hillary ist hier im Vorteil, Obamas Team dagegen wird eine sehr steile Lernkurve hinlegen müssen. (DER STANDARD, Printausgabe, 2./3.2.2008)