Debütanz mit Eleganz: Kellner Rottenberg

Foto: Matthias Cremer

Harte Arbeit, wahrer Einsatz: Das Bar-Team

Foto: Matthias Cremer
Wien – Der Opernball ist ein Zimmer. Etwa sechs Meter breit, rund zwanzig Meter lang und keine drei Meter hoch. Dahinter (wenn weniger als 70 Menschen im Zimmer sind) geht der Opernball ein bisserl weiter: noch einmal zwanzig Meter. Danach kommen Stufen. Die führen irgendwo anders hin. Und von dort kommen ständig Menschen, die dann am Opernball etwas trinken wollen. Solange sie Luft bekommen. Denn am Opernball gibt es keinen Sauerstoff: der Opernball ist ein Raucherkammerl. Ohne Belüftung.

Klar: Genauso genommen stimmt das natürlich nicht. Das weiß eh jeder. Aber für Alex, Marina, Christina, Therese, Stefan, Matthias und Christian war der Opernball genau das. Für mich auch: (Semi)-prominente Ballbesucher klagen gerne, wie strapaziös und anstrengend die Ballnacht ist. Grund genug, eine Nacht lang zu testen, wie sich der Ball für Menschen anfühlt, die hier Knochenarbeit leisten: Kellner. Insgesamt rund 160 arbeiten am Ball. Und eine Nacht als Kellner in der Davidoff-Lounge im dritten Stock dürfte der härteste Job der ganzen Ballsaison sein.

Es darf geraucht werden

Die Lounge war eine Erfindung von Bernd Schlacher. Schlacher ist Szenegastronom in Wien (u.a. Motto, Halle und Kunsthallencafé) und ein Freund von Neo-Opernballorganisatorin Desirée Treichl-Stürgkh. Ihr Wunsch nach einem Vorgeschmack auf jenes moderne, entstaubte Setting, das sie dem Ball geben will, erfüllte Schlacher: Seine Davidoff- und Oval-Wodka-Lounges hoben sich optisch (Club-Atmosphäre, Fingerfood) und akustisch (Lounge-DJ-Sounds) deutlich Set ab. Und: es durfte geraucht werden.

Schlachers anfängliche Skepsis ("Ich weiß nicht, ob das ankommt") verflog schon während der Eröffnung: Von 21.30 Uhr bis halb drei kam keiner seiner Service-Profis dazu, auch nur ein Glas Wasser zu trinken. "Das nennt man Schwimmen", erklärte Motto-Cateringchefin Daniél Walther, als Bar und Team knapp nach 22 Uhr das erste Mal zusammenzubrechen drohten: Das Asset "Raucherkammerl" war ein Magnet.

Echt lustig

Und selbst Schlachers schickimicki- und ViP-gestählte Crew lernte hier noch dazu: Kleider machen zwar Leute – aber mit Stil hat das oft wenig zu tun. Während einem Franz Beckenbauer kein Stein aus der Krone fällt, wenn er für einen schwer beladenen Kellner im Gewühl einen halben Schritt zur Seite macht, sieht das manch einheimischer Ballgast anders – und streckt die Beine jedes Mal "rechtzeitig" aus. Echt lustig.

Und auch für die Preise ist das Personal verantwortlich: "45 Euro für ein Glas Champagner sind eine Frechheit", wütet ein Höchst-Ordensträger nicht ganz zu Unrecht. Nur: Der Mann betont, Ball-Stammgast zu sein. Und "ein guter, persönlicher, Freund der Gräfin von Stürgkh". Der Hinweis, dass die Preise vorgegeben seien, meint mein Stationschef Alex, sei müßig: "Extreme kommen hier deutlicher raus. Das dürfte an der Klientel liegen ", resümiert der 23-jährige Boku-Student. Und sein Kollege Matthias fügt hinzu, dass sich gerade hier wie sonst nirgendwo die Spreu vom Weizen trenne: "Klasse erkennt man auch daran, wenn jemand, der beim Gehalt hinten zwei Nullen mehr hat, auch zu einem Kellner freundlich und höflich ist." Just besagte "Gräfin von Stürgkh" sei dafür ein gutes Beispiel.

Krieg

Aber mehr als für einen Halbsatz hat hinter der Bar niemand Zeit: "Hier herrscht Krieg", ächzt ein TV-Reporter durch die Rauchschwaden – und an der Schank schaltet Christina auf "Kampflächeln": "Wenn ich nicht sofort bedient werde und eine Rechnung bekomme, werde ich mich mit ihnen schlagen," tobt ein deutscher Ballgast in der dritten Reihe – und Schlacher stellt auf jeder Kontrollrunde fest, dass alle Aschenbecher schon wieder voll sind. Obwohl sie im Dreiminutenrhythmus geleert werden. "Hier wird man zum militanten Nichtraucher", stöhnt eine Dame, die ihr Begleiter schon zum dritten Mal in die Lounge schleppt. Nach - jedem Mal - vier Gläsern Champagner und zwei Mineralwässern (190 Euro) darf sie zurück in den Ballsaal. Dort gibt es angeblich Sauerstoff. Der Neid der Mannschaft zieht mit ihr.

Rare Münze

Immerhin: Der Begleiter gab anständiges Trinkgeld. Auch das ist nicht selbstverständlich: Die gold- und juwelenbehangene Dame etwa, die für sich und ihre Freundinnen alle halben Stunden drei Wodka (á 15 Euro) und drei Tonicwater (á sechs Euro) ordert, rundet bei der ersten Bestellung von 63 auf 65 Euro auf. Ab dann will sie ihr Retourgeld genau, zahlt prinzipiell mit 100 Euro-Scheinen – und weil das viele tun, sind Ein- und Zwei-Euro-Münzen bald ein gesuchtes Gut.

Aber nicht nur das Kleingeld geht rasch zur Neige: Um halb zwei ist der Weißwein aus. Red Bull detto. Und als Therese um halb drei beschließt, hinter der Bar "ab jetzt in Ballerinas, es geht nicht mehr" zu arbeiten, sind auch die Wodka- und Bierbestände fast weg. Um halb vier kann Marina, trotz langjähriger Praxis, "wirklich nicht mehr". Daniéle Walther (die gegen vier Uhr selbst einen Schwächeanfall hat) schickt sie heim. "Eine echt harte Nacht" stöhnt Alex um fünf, als endlich Schluss ist: Er (also: wir beide) hat sechstausend Euro Umsatz gemacht. Die genaue Abrechnung wird es erst nächste Woche geben. Schlachers Kellner sind (ab einer Mindestgrenze) am Umsatz beteiligt. Dienstantritt war um 18 Uhr, jetzt ist es fünf. Rund 200 Euro plus Trinkgeld, Minus "Schwund", schätzt Alex, werde jeder da wohl verdient haben: "Das ist gut." Und Stefan setzt nach "für Debütanten waren wir nicht schlecht." Und der Ball selbst? Die Kellner schauen einander müde an: "Welcher Ball?" (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 1.2.2008)