Am heutigen 64. Verhandlungstag im Bawag-Strafverfahren war wieder Sachverständiger Fritz Kleiner zu Gast. Zur Erinnerung: Kleiner hat in seinem Gutachten die Verluste Flöttls genauer unter die Lupe genommen und ist zu dem Schluss gekommen, dass er sich die Geschäfte nicht erklären könne: "Wie kann das denn sein, dass in zehn Tagen über 700 Millionen Dollar den Bach hinuntergehen? Ich kann's auch jetzt nicht sagen, wie das passiert ist. Auch Arthur Andersen kann's nicht sagen."

Die Verhandlung ist bereits beendet. derStandard.at-Redakteurin Dorit Krobath berichtete live aus dem Großen Schwurgerichtssaal.

14:10 Uhr

Elsners Anwalt Schubert hat noch "drei dringende Fragen", die er unbedingt noch stellen will. "Haben Sie machen dürfen, was Sie gemacht haben?" wendet er sich an Flöttl. "Ich hatte einen Privatvertrag mit einer Bank in Bermuda, wir sind keiner Aufsichtsbehörde unterstanden… Kurz gesagt: Ja, ich habe machen dürfen, was ich gemacht habe", antwortet der Investmentbanker. "Nun meine Frage an den Sachverständigen: Hat Doktor Flöttl sorgfältig gehandelt, oder nicht?" fragt Schubert.

"Ich habe nicht untersucht, ob Flöttl britisches oder amerikanisches Recht verletzt hat“, antwortet Kleiner. "Die Bezeichnungen waren irreführend. Es gibt keine nationalen Derivativ-Geschäfte, genauso wenig wie internationale. Ich sehe die Sorgfaltspflicht übernational so, dass der Broker mit dem Geld seines Auftraggebers sehr vorsichtig umgehen soll."

Richterin Bandion-Ortner wendet sich an Elsner: "Wie haben Sie überprüft, ob Dr. Flöttl nach New Yorker Recht gehandelt hat?" Elsner weicht aus: "Dr. Flöttl war ein amerikanischer Investment-Banker, der sehr groß war - nach eigenen Aussagen so groß wie Cerberus. Also mir war jedenfalls bekannt, dass die Sorgfaltspflichten in New York sehr streng ausgelegt werden."

Aber die Richterin beharrt auf ihrer Frage: "Haben Sie selbst überprüft, nachdem diese Verluste eingefahren waren, ob Flöttl nach New Yorker Recht rechtmäßig gehandelt hat?" Elsner meint daraufhin, dass er 2003 schon in Pension gewesen sei und ihn die Affäre nichts mehr anginge. Auf die Frage, warum er nicht schon 2000 reagiert habe, meinte er, dass er zivilrechtlich nichts unternehmen wollte, was öffentlichkeitswirksam hätte sein können. Flöttls Anwalt Christian Hausmaninger fügt hinzu: "Und gleich darauf haben Sie ihm nochmals Geld gegeben."

Um 14 Uhr 10 ist die Verhandlung beendet. Am Montag geht es mit der Befragung der Angeklagten weiter.

13:20 Uhr

Die Mittagspause ist beendet, die Verhandlung wird fortgesetzt - allerdings ohne Staatsanwalt Georg Krakow. Er ist kurzfristig verhindert, Richterin Bandion-Ortner weiß nichts Genaueres. Eine junge Kollegin vertritt ihn.

Nun ist Flöttls Verteidiger am Wort. Er zitiert aus dem Gutachten und will zu einigen Details Genaueres wissen – vor allem, wie Kleiner zu den Ergebnissen und Annahmen in seinem Gutachten gekommen sei.

Dann wird Peter Nakowitz zur Richterin gerufen, um ein Fax bezüglich Umstrukturierungen genauer zu erötern. Er kann dazu nichts sagen, nur so viel, dass diese Dinge im Vorstand besprochen wurden und er nur die Kommunikationsfunktion zu Entscheidungen übernommen habe.

12:10 Uhr

Richterin Bandion-Ortner will wissen, warum denn Elsner auf ein Gutachten vertraut habe, das von Flöttls Wirtschaftsprüfer erstellt wurde. "Ich habe das Gutachten erst bekommen, nachdem der Schaden eingetreten ist", erklärt Elsner. "Flöttl hat in seinem Geständnis bereits bestätigt, dass das Geld weg ist und es seine Schuld sei. Wir wussten aber nicht, dass das Gutachten von Arthur Andersen ist. Wenn wir das (dass Arthur Andersen Flöttls Wirtschaftsprüfer sei, Anmerkung) gewusst hätten, hätten wir ein weiteres Gutachten besorgt. Für uns war Arthur Andersen ein qualifizierter Name, und damit haben wir uns zufrieden gegeben. Und als wir es erfahren haben, da war das Geld schon weg."

"Sie haben kein Gutachten von einem anderen Wirtschaftsprüfer verlangt, weil Flöttl schon gestanden hat, dass das Geld weg ist. Warum haben Sie überhaupt ein Verlustaudit haben wollen?", will der Staatsanwalt wissen. "Wir wollten eine Bestätigung für die Verluste haben. Flöttl hat gemeint, dass das Arthur Andersen machen könne, da haben wir aber nicht gewusst, dass das der Berater von Flöttl gewesen ist", antwortet Elsner verärgert.

Auf den Vorwurf seiner lückenhafte Erinnerung, da er sich an einen früheren Arthur-Andersen-Bericht von 1998 auch nicht erinnern könne, antwortet er noch immer gereizt: "Für mich war mit meiner Pensionierung 2003 die ganze Situation abgeschlossen, saniert und bereinigt."

Auf die Bemerkung, dass er sich aber sehr wohl an das Jahr 2000 erinnern könne, meint er: "2000 war ein Schicksalsschlag für die Bank, auch weil Dr. Flöttl gegen unsere Weisungen gehandelt hat."

"Wie kommt es, dass Sie sich die Prüffirma von Herrn Flöttl vorschlagen ließen, obwohl der Name Arthur Andersen immer wieder in den Bond-Purchase-Agreements erwähnt wurde?", will Kleiner wissen. "Ich war mit der Angelegenheit nie befasst und habe nie Uni-Bond-Verträge unterschrieben. Ich war nie dabei und kann Ihnen dazu nichts sagen", antwortet Elsner. Auf die Frage der Richterin bestätigt Schwarzecker, dass seines Wissens "alle Vorstände, mit Ausnahme von Elsner", die Verträge unterschrieben hätten.

Auf die Frage, ob denn Flöttl glaube, dass die Bawag von der Flöttl-Beziehung zu Arthur Andersen gewusst hätte: "Ich glaube schon, weil die Bawag auch das Performance-Audit bekommen hat."

Richterin Bandion-Ortner schlägt dann eine Mittagspause bis 13 Uhr vor.

11:46 Uhr

Arthur Andersen kritisierte: Flöttl hat gegen den sich entwickelnden Zinstrend gewettet.

Gutachter Kleiner kann nicht erklären, welche Trades welche Verluste verursacht haben. Aber er könne erklären, wo das Geld hingekommen sei, und gibt eine Einführung in das Investmentbanking.

"Brokerhäuser wie Goldman Sachs leben vom Handel mit Papieren, wie Banken vom Geldverleihen leben. Diese Häuser müssen zu einem Verkaufsangebot oder einer Wette - zum Beispiel: der Kurs des JPY wird sinken - einen Gegenpart finden, der in diesem Beispiel sagen würde: 'Nein, ich glaube, der Yen steigt'." Die Teilnehmer am Geschäft kennen einander nicht. Broker machen den Abschluss und das Geschäft kommt ins System. Die Mitspieler sitzen vor ihren Bildschirmen und kennen mit großer Sicherheit den Herrn Flöttl nicht. Die Kunden des Herrn Flöttl sind zwischengeschaltete Brokerhäuser und Kunden, die den Herrn Flöttl überhaupt nicht kennen. Meine Theorie ist folgende: Es kann nur so gewesen sein, dass die Wette eines Wettpartners nicht in das System des Brokers gegangen ist, sondern außerhalb des Systems geblieben ist und außerhalb gehandelt wurde."

Zur Theorie, dass Flöttl mit sich selbst gedealt habe, meint er: "Diese Idee ist mir auch schon gekommen. Aber die Annahme, dass das Geld zurückgeflossen ist, lässt sich durch nichts in dem Akt erklären. Es lässt sich nicht feststellen, dass er den Deal mit sich selber gemacht hat."


Auf den Folien von Gutachter Kleiner penibel dokumentiert: Die Wechselkursschwankungen zwischen Yen und US-Dollar zwischen 1994 und 2001.

11:15 Uhr

Die Pause ist vorbei. "So, geht's wieder?" fragt Bandion-Ortner den eintretenden Helmut Elsner. Der grummelt etwas vor sich hin und nimmt auf der Anklagebank Platz.

Gutachter Fritz Kleiner setzt seinen Vortrag fort. Die wesentlichen Verluste des Jahres 2000 kamen aus den Zinsswaps. In diesem Jahr hat Arthur Andersen eine Betrugsuntersuchung eingeleitet, jedoch wurden "keine Betrugsrisikofaktoren gefunden". Der Wirtschaftsprüfer wollte feststellen, ob die Verluste Handelsverluste oder keine Handelsverluste waren. Doch das Ergebnis war negativ. Die Allgemeinbeurteilung der Ross Global Funds Limited durch Arthur Andersen lautete: Das Unternehmen hätte eine sehr schwache wirtschaftliche Gesundheit, eine schwache Liquidität, schwache Wirtschaftlichkeit und einen schwachen Cash Flow. Weiters schließt Arthur Andersen, dass die Gefahr, den Hauptkunden (Bawag, Anmerkung) zu verlieren, minimal wäre. Außerdem habe Flöttl die Fähigkeit, die Geschäftsrisiken seines Unternehmens zu erkennen.

Die Kontrollen und das Management erfolgten durch eine einzige Person. Die Prüfer fanden keine unrichtigen Erklärungen in Bilanzen und sonstigen wirtschaftlichen Angaben. Auch gab es bisher weder Betrugsvorwürfe noch -verurteilungen. Das Verhalten des Managements und die Kooperation mit den Prüfern sei angemessen bis gut gewesen. Die allgemeine Beurteilung der Rechnungslegungsmethode wurde als minimal bis mäßig eingestuft – auf gut steirisch "ein Saustall", wie Kleiner anmerkt.

Die Gründe für die Verluste lagen auf der ausschließlichen Konzentration auf die japanische Wirtschaft. Flöttl glaubte, dass die makroökonomischen Bedingungen, die vorausgesagt wurden, nicht zutreffen würden, sondern dass die japanische Wirtschaft viel schneller wachsen würde. Das Unternehmen erwartete, dass sich die japanischen Zinssätze nach oben bewegen würden und somit das Portfolio wachsen würde.

10:20 Uhr

Von Ende August bis Ende September wurde der JPY signifikant stärker. Der Abfall begann am 6.10 1998. Im Detail: Vom 11.8. 1998 bis Ende Oktober 1998 hat sich der JPY/USD von 147 auf 116 runter bewegt. Das bedeutet, dass sich der JPY zum USD verstärkte.

"Bis 11.8 1998 bewegt sich der JPY in Richtung des schwächer werdens. Ich erlaube mir die Annahme, dass Flöttl bis dorthin keine massiven Verluste erlitten hat", meint Kleiner. Zu den Tagen danach meint er: "Flöttl sagte aus, dass er Hebelwirkungen zwischen 5 und 20 verwendet hat. Bei einem Hebel von 4 in der gesamten Entwicklung ist es zumindest rechnerisch denkbar, dass die gesamte Veranlagung verlustreich wurde."

Im Jahr 2000 war übrigens nicht mehr Ross Capital, sondern Ross Global Funds tätig. Eine weitere Gesellschaft, die Flöttl zuzurechnen ist. Kleiner analysiert weiter die Geschäfte des angeklagten Investmentbankers: "Flöttl hat sich verpflichtet, einen fixen Zins zu zahlen, und hat sich das Recht erkauft, einen variablen 6-Monats-Zinssatz zu zahlen. Das wäre aufgegangen, wenn der variable Zinssatz geringer als der fixe gewesen wäre.


Gutachter Kleiner hat eine Powerpoint-Präsentation mit 19 Folien (siehe Auszug; Download siehe oben) vorbereitet.

Weitere Aussagen von Sachverständigem Kleiner:

"Die Abschwächung des JPY (diesen Deal hat er zuvor erklärt, Anmerkung) ist auch nicht aufgegangen. Auch damit hat er auf das falsche Pferd gesetzt."

"Es ist nachvollziehbar, was Doktor Flöttl sagt. Er hat die Gelder investiert, die Verluste sind über das Jahr 2000 verteilt entstanden."

Richterin Bandion-Ortner schlägt eine fünfminütige Pause vor. An deren Ende tritt sie in den Saal und unterbricht die Verhandlung für weitere zehn Minuten, da Helmut Elsner, vermutlich wegen Kreislaufproblemen, gerade ärztlich untersucht wird.

9:48 Uhr

Sowohl das Zuschauer- als auch das Medieninteresse ist heute äußerst gering. Keine Fotografen, keine Kameraleute richten zu Verhandlungsbeginn ihre Objektive auf die Angeklagten.

Richterin Bandion-Ortner eröffnet den Prozess um 9 Uhr 22: "So, sind alle versammelt?" Einer der Anwälte meint mit Augenzwinkern: "Wir wollen heute nicht." (Anmerkung: Es ist das erste Mal Freitag ein Verhandlungstag.) "Sie haben ja so viele Fragen", antwortet die Richterin schmunzelnd.

Kleiner beginnt mit der Beantwortung der Fragen von Wolfgang Schubert, die er sich letztes Mal notiert hat. Dazu hat er einige Powerpoint-Folien vorbereitet. Er erklärt den Zusammenhang von JPY/USD-Kurs und nimmt zu jenen Dokumenten Stellung, die er am 28. Jänner von Elsners Verteidiger bekommen hat. In diesen Papieren analysieren Barclays Capital Währungsschwankungen. Hier einige Auszüge:

"Ein schwacher Japan-Yen und schwache Zinssätze sind die für Japan einzig verfügbare Option." (5.10.1998)

"Die fundamentalen Gründe, warum der JPY nachgeben soll, gelten immer noch. Offizielle Stellen in Japan sind bereits besorgt über die Auswirkungen." (9.10.1998)

"Die amerikanische Notenbank ist nicht besonders besorgt um die US-Wirtschaft. Die Stärke des JPY bleibt nur dann aufrecht, wenn Tokio eine fundamentale Bankreform durchzieht." (19.10.1998)

"Wir erwarten, dass sich die Zinsdifferenzen noch weiter auseinander bewegen werden." (Oktober 1998)

"Der starke USD hat der Weltwirtschaft genutzt. Da die globalen Investoren risikofeindlich sind, wurde der USD schwächer und kam unter Druck."

Laut Kleiner unterstützen die vorgelegten Unterlagen die Meinung der Bank of England.