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Heftige Proteste gegen Nokia wegen der geplanten Werksschließung in Bochum: Verständlich, sagt der finnische Gewerkschafter Sture Fjäder, aber ein Boykott würde noch mehr Jobs gefährden.

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Die Verlagerung sei eine normale Folge der Globalisierung, sagt Sture Fjäder von der finnischen Gewerkschaft Avaka André Anwar.

Standard: Was halten Sie von dem Konflikt um die angekündigten Schließung des bislang profitablen NokiaWerkes in Bochum zugunsten einer neuen Fabrik in Rumänien?

Fjäder: Auch wir wurden mit ähnlichen Situationen konfrontiert. Die deutsche Fujitsu-Siemens hatte ein große Fabrik in Finnland. Die Fabrik lief sehr gut, die Auftragslage war ausgezeichnet. Aber als Siemens global sanierte, entschied man sich für die Rationalisierung in Finnland, weil wir kürzere Kündigungsfristen haben und es billiger war, ein finnisches Werk zu schließen statt ein deutsches.

Standard: Dann haben Sie Verständnis für die heftigen Reaktionen und Proteste deutscher Gewerkschaften und Politiker gegenüber Nokia? Laut einer Umfrage kann sich die Hälfte aller Deutschen vorstellen, sich einem Nokia-Boykott anzuschließen.

Fjäder: Wir haben zwar auch Probleme mit Unternehmen, die ins billigere Ausland abwandern. Aber wir nehmen deutlich Abstand von den deutschen Protesten und Boykottaufrufen gegen Nokia. Gewerkschaften führen nicht die Unternehmen im ökonomischen Sinne. Die lautstarken deutschen Boykottaufrufe dienen vielleicht als eine Art emotionales Ventil. Aber das hilft nichts. Eher im Gegenteil. Wenn Nokia nun tatsächlich große Absatzeinbußen in Deutschland haben sollte, kann das im schlechtesten Falle zu weiteren Kündigungen führen. Der Boykott ist Unsinn, davon profitieren höchstens Nokias Konkurrenten.

Standard: Nun klingen Sie wie ein Aktionärsvertreter. Nokia hat umfangreiche deutsche Fördergelder kassiert. Ist der Unmut da nicht verständlich?

Fjäder: Es ist völlig klar, dass Nokia die empfangenen deutschen Fördergelder zurückbezahlen muss. Zudem muss Nokia bei der Schließung mit ausreichend viel Geld die sozialökonomische Verantwortung übernehmen, sodass die Betroffenen einen neuen Arbeitsplatz bekommen. Aus einer langfristigen Perspektive gesehen ist es einfach so, dass Handys und Ähnliches immer billiger werden. Und es ist deshalb auch nicht verwunderlich, dass sie nicht mehr in Industrieländern mit hohen Lohnniveaus produziert werden können. Der Umzug in billigere Länder wird zu einer ökonomischen Notwendigkeit für die Firmen. Als Gewerkschaft kann man diesen Trend leider nicht aufhalten. Aber wir können dafür kämpfen, dass diese Unternehmen Schließungen sozial so rücksichtsvoll wie möglich durchführen und Verantwortung übernehmen, dass Angestellte neue Stellen bekommen.

Standard: Was haben Sie als Gewerkschafter für Erfahrungen mit Nokia in Finnland gemacht, wenn es um die soziale Abfederung von Schließungen geht, etwa bei Nokia-Networks?

Fjäder: Viele wurden entlassen. Aber es wurde recht viel Geld für die soziale Abfederung und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen aufgewandt. Die allermeisten bekamen dank dieser Maßnahmen und nach einiger Zeit wieder eine neue Stelle.

Standard: Was raten Sie Nokia Deutschland?

Fjäder: Der Schließungsbeschluss für Bochum wurde etwas unprofessionell von Nokia kommuniziert. Da lief einiges schief. Den Schließungsbeschluss rückgängig zu machen ist aus Produktionskostengründen unmöglich. Da wird Nokia mit Sicherheit keinen Rückzieher machen. Gleichzeitig müssen Politiker und Gewerkschaften respektieren, dass globale Unternehmen solche unangenehmen Entscheidungen treffen müssen und sie das Rad nicht zurückdrehen können.

Standard: Bedeutet das, dass es irgendwann keine Stellen mehr in Europa geben wird?

Fjäder: Nein. Wir leben schon lange in einer globalisierten Welt. Es wird immer Arbeit in Europa geben. Lediglich die Arbeitsinhalte ändern sich mit der Globalisierung. Darauf müssen wir uns alle einstellen, Unternehmen, Gewerkschaften und Politiker gleichermaßen.

ZUR PERSON: Sture Fjäder ist Chefunterhändler der finnischen Gewerkschaft Akava, die Beschäftigte mit höherer Bildung vertritt. Sie hat 486.000 Mitglieder.