Die Abgeordneten sind die Vertreter des Volkes. Aber das Volk darf nicht zuschauen, wenn Volksvertreter ihrer Aufgabe nachgehen. Dem ORF wurde die Übertragung der Pflegedebatte nach der Aktuellen Stunde aus dem Nationalrat untersagt, weil die Gefahr bestanden hat, dass das BZÖ andere Anliegen vorbringt.

Na und? Das ist gelebter Parlamentarismus. Mit den BZÖ-Argumenten kann und muss man sich politisch auseinandersetzen. Einfach dem ORF die Liveübertragung an den beiden Sitzungstagen Mittwoch und Donnerstag zu untersagen und nur zuzulassen, dass die Aktuelle Stunde am Mittwoch und die Fragestunde Donnerstagvormittag im Fernsehen gezeigt werden dürfen, ist eine Einschränkung der Pressefreiheit in Österreich. Ausgerechnet durch die gewählten Volksvertreter. Und das in einer Stadt, in der das IPI, das International Press Institute, seinen Sitz hat und von der österreichischen Hauptstadt aus versucht, sich weltweit für Pressefreiheit einzusetzen. Etwa in Nordkorea oder der Slowakei.

ORF kann Auftrag nicht nachkommen

Damit wird auch dem ORF verwehrt, seinem Auftrag als gebührenfinanzierte Anstalt nachzukommen. Im Normalfall buhlen Politiker um Sendezeit im ORF und versuchen häufig genug, sich selbst ins Bild zu bringen. Der ORF sah sich deshalb zu Recht zu einem ungewöhnlichen Schritt veranlasst: In der Hauptnachrichtensendung Zeit im Bild wurde eine offizielle Erklärung verlesen, wonach der ORF gerne seinem Informationsauftrag nachgekommen wäre, aber nach Telefonaten mit Nationalratspräsidentin Barbara Prammer übertrage man die Debatte nicht.

Die Begründung des Parlaments überzeugt nicht, sondern erstaunt erst recht: Laut Fairnessabkommen – jawohl, das heißt so – bekomme jede Fraktion Redezeit während der Liveübertragung zugeteilt. Und weil die Einhaltung dieses Fairnessabkommens nicht gesichert gewesen sei, wurde die TV-Übertragung untersagt.

Prinzipielle demokratiepolitische Überlegungen

Auch wenn dem BZÖ damit eine Bühne geboten worden wäre, so hätte aus prinzipiellen demokratiepolitischen Überlegungen dem ORF die Ausstrahlung nicht verwehrt werden dürfen. Der ORF hat nicht nur eine Informationspflicht, die Öffentlichkeit hat ein Informationsrecht, gerade was die Arbeits- und Argumentationsweise von gewählten Volksvertretern betrifft.

In anderen westlichen Demokratien ist das gewährleistet: In Deutschland ist das Basissignal aller Bundestagsdebatten, inklusive eines Videoarchivs, als Web-TV-Stream im Internet zu sehen. Inhaltsgleich wird es in Berlin ins regionale digitale Kabelnetz eingespeist. Und so kann sich jeder zu jeder Zeit – und nicht nur, wenn die Parlamentsdebatte ein TV-Sender überträgt – ein Bild von der Debattenkultur in diesem Lande machen. Alle interessierten Sender bekommen das Signal kostenlos zur Verfügung gestellt. Im Übrigen gibt es in Deutschland gleich mehrere Nachrichtenkanäle – den öffentlich-rechtlichen Sender Phoenix und die privaten Kanäle n-tv und N24 –, die viel mehr Parlamentsberichterstattung bieten, als man es im ORF gewohnt ist. Allein Phoenix hat im Vorjahr 380 Stunden von 66 Sitzungstagen berichtet.

24-Stunden-Programm seit 1979

In den USA strahlt C-Span (Cable-Satellite Public Affairs Network) seit 1979 ein 24-Stunden-Programm aus, 1986 kam ein zweiter Kanal dazu, der ebenfalls privat, aber nicht kommerziell betrieben wird. C-Span überträgt sämtliche Plenar- und Ausschussdebatten, zeigt aber auch Talkrunden mit Abgeordneten. In Frankreich liefert der Parlamentskanal LCP ein 18-stündiges Programm, das zu gleichen Teilen von der Nationalversammlung und dem Senat bestritten wird. Als Spartenkanal der öffentlich-rechtlichen BBC sendet in Großbritannien BBC Parliament Übertragungen aus dem Unter- und Oberhaus. Ähnliche Angebote existieren in Spanien, Italien, Tschechien, Griechenland und Israel.

Die Debatten des Parlaments gehören zur politischen Bewusstseinsbildung. Sie gehören selbstverständlich auch ins Fernsehen. Übertragungen zu verbieten heißt, die Pressefreiheit einzuschränken. (Alexandra Föderl-Schmid, DER STANDARD, Printausgabe 31.1.2008)