Ana Esther Ceceña: "Wenn es eine Rezession in den USA gibt, verlieren die Mexikaner am meisten."

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Lokale Bauern gerieten zunehmend durch die neuen Agroindustrien unter Druck, sagte sie zu Adelheid Wölfl.

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STANDARD: Was hat Biokraftstoffproduktion für eine Auswirkung auf das Leben der Bauern in Lateinamerika?

Ceceña: Die Agrokraftstoffe verändern die Nutzung des Bodens, und traditionelle Kultivierungsformen werden ersetzt.

STANDARD: Können sich die Landwirte aussuchen, ob sie für die Kraftstoffproduktion oder für die Nahrungsmittelindustrie arbeiten?

Ceceña: Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt autarke Landwirtschaft und große Agrarindustrielle, aber auch Kleinbauern, die sehr weltmarktorientiert sind. Das Saatgut ist aber oft gentechnisch verändert, und damit werden die lokalen Arten eliminiert. Dieses Saatgut braucht auch viel mehr Wasser. Die Entwaldung durch den Anbau führt zudem dazu, dass große Kreisläufe unterbrochen werden und weniger Regen fällt.

STANDARD: Was sind die Alternativen zu dieser Form von Produktion?

Ceceña: Die Alternative ist eindeutig, keine Agrokraftstoffe zu produzieren. Das Einzige, woraus man das produzieren sollte, ist Biomasse, also Abfallprodukte.

STANDARD: Aber das ist nicht realistisch. Die Nachfrage nach Agrokraftstoffen nimmt zu.

Ceceña: Die Produktion von Biokraftstoffen wirkt wegen des Wortes "bio" so, als ob es eine ökologische Alternative wäre. In Lateinamerika ist es aber gerade umgekehrt, diese Produktion verursacht mehr ökologische Schäden, als sie verbessert. Weil sie mit den anderen Arten von Landwirtschaft in Konkurrenz steht und sie kaputtmacht. Der Umfang der industriellen Produktion von Agrokraftstoffen ist viel größer als andere landwirtschaftliche Produktion.

STANDARD: Auch für die Nahrungsmittelindustrie wird industriell produziert, die Konsequenzen sind dieselben wie für die Agrokraftstoffindustrie.

Ceceña: Sie haben Recht, es gab bereits vorher eine industrialisierte Landwirtschaft, aber es gab auch noch Kleinbauern. Und diese kleinbäuerliche Landwirtschaft gerät unter Druck durch die enormen Marktchancen von Agrokraftstoffen. Auch bestimmte Formen der Ausbeutung werden verstärkt. Beim Zuckerrohranbau herrschen wieder sklavische Verhältnisse.

STANDARD: Arbeiten die Menschen nicht lieber in großen Agroindustrien, weil sie da ein sichereres Einkommen erwarten können?

Ceceña: Die Entscheidungsfreiheit liegt nicht bei den lokalen Bauern. Um diese riesigen Gebiete für die Agrokraftstoffproduktion zu gewinnen, werden die Bauern enteignet. Die Grundbedingung für so eine Riesenproduktion ist ja das Land auszuweiten und die kleinbäuerliche Produktion zu ersetzen.

STANDARD: Durch welche Mechanismen geschieht das?

Ceceña: Die Verfassung von 1910 hat festgelegt, dass Kleinbauern individuell oder gemeinschaftlich Land besitzen können. Großgrundbesitzer waren verboten. Das ist 1992 vor der Einführung der Nafta verändert worden, und seitdem werden Latifundien wieder zugelassen. Wenn der frühere kollektive Besitz individualisiert wird, reicht dieser den Kleinbauern aber nicht, um sich zu ernähren. Das Land wird also vermietet oder verkauft, die Leute gehen weg, oder sie arbeiten als Tagelöhner.

STANDARD: 90 Prozent der Exporte Mexikos laufen über die Freihandelsabkommen. Die Ausfuhren stiegen um das Dreifache. Hat Mexiko nicht durch die Nafta profitiert?

Ceceña: Mexiko hat sich zunächst deindustrialisiert. Die Industrie wurde zerstört oder umgewandelt in Off-shore-Industrien, wo nur mehr Endfertigung gemacht wird. Die mexikanische Ökonomie wurde dadurch viel verwundbarer als vorher. Wenn es eine Rezession in den USA gibt, verlieren die Mexikaner am meisten. Statistiken der Weltbank zeigen, dass das Niveau der Armut sich seit der Einführung von Nafta verdoppelt hat. Wenn es um die Selbstversorgungsmöglichkeit des Landes geht, hat die Nafta eine negative Bilanz.

STANDARD: Selbstversorgende Wirtschaft geht auf der ganzen Welt zurück. Was ist speziell an Mexiko?

Ceceña: Im Ernährungsbereich war Mexiko vorher eines der autarksten Länder. Selbst vom Mais, dem Grundnahrungsmittel Nummer eins, wird nun ein Drittel importiert, auch von schlechterer Qualität.

STANDARD: Aber es wird auch mehr exportiert.

Ceceña: Ja, aber der gute Mais. Und damit hat sich die Lebensqualität verschlechtert. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 30.1.2008)