Bild nicht mehr verfügbar.

Chinesische Wanderarbeiter, die zum Frühlingsfest nach Hause wollten, warteten im Schneechaos vergeblich auf Züge

Foto: AP/CHN
Am gestrigen Dienstag, acht Tage vor dem chinesischen Frühlingsfest, steckten in Kantons beiden Großbahnhöfen mehr als 300.000 Wanderarbeiter fest. Sie alle wollten zur großen Familienfeier nach Hause fahren. Schneestürme und Stromausfälle machten ihre Pläne zunichte. Die Behörden verstärkten die Bahnhofspolizei um 5000 Milizen, um befürchtetem Randalieren vorzubeugen.

Headline: "Chaos"

Seit am 11. Jänner der Frost kam, wurden aus 17 von 31 Provinzen massive Stromausfälle und Engpässe in der Versorgung von Kohle bis Lebensmittel und Wasser gemeldet. Die Leitungen froren ein. "Es gibt für diesen Zustand nur ein Wort: Chaos" schrieb die Shanghai Daily. Mit 49 Toten, darunter 25 Menschen, die am Dienstag bei einem Busabsturz von einer Bergstraße Guizhous verunglückten, hält sich die tödliche Unfallbilanz zwar in Grenzen. Aber die Kettenreaktion an Missständen führt Politikplanern vor Augen, wie zerbrechlich ihr rasanter Wirtschaftsaufbau auf einen unerwarteten Notstand reagiert. Nun handelt die Regierung hektisch. Am Dienstag flog Premier Wen Jiabao in die Krisenregion Hunan. Zur gleichen Zeit beorderte Parteichef Hu Jintao in Peking das Politbüro zur Krisensitzung.

Die Kältewelle ist die schlimmste seit einem halben Jahrhundert. Die für ihre milden Winter bekannten Regionen südlich vom Yangtse-Strom wurden von einer Wetterlage überrascht, auf die sie nicht vorbereitet waren. Sie hatten tausende Kilometer Autobahnen aus dem Boden gestampft, ohne an Räum- oder Streudienste zu denken. Sie rechneten bei ihrer rapiden Elektrifizierung nie mit vereisten Kabeln.

Zum Schrecken der Pekinger Führung traf alles auf einmal zusammen. Schon der jährliche Massenansturm der Frühlingsfest-Reisenden überfordert die Bahnen. Nach dem Frosteinbruch kamen mehr Fahrgäste.

Kohlemangel

Zugleich soll die Bahn auch noch mehr an Kohle befördern. Chinas Stromerzeugung kommt mit dem Bedarf nicht nach, seitdem Niedrigstände der Flüsse die Stromerzeugung der Wasserkraftwerke verringert haben. Die Regierung will die Ausfälle über seine Kohlekraftwerke kompensieren. Dafür aber fehlen der Bahn nicht nur Transportkapazitäten. Es fehlt auch an Kohle. Tausende unfallträchtige Kohlegruben wurden geschlossen, eine Entscheidung, die sich nun rächt. Die Folgen sind dramatisch. Dutzende Kraftwerke wurden aus Kohlemangel abgeschaltet. 89 Kraftwerke haben nur noch für drei Tage Kohlevorräte. Die Zeitung Xinjingbao kritisierte gestern die Bürokratie und mangelnde Transparenz der Krise, weil es von Anfang an keine Abstimmung unter den betroffenen Provinzen gab. (Johnny Erling, DER STANDARD Printausgabe, 30.1.2008)