Die beiden Hauptprobleme aus Sicht der Lehrer seien destruktives Schülerverhalten und zu große Klassen, zitiert Bauer weitere Umfrageergebnisse. Dazu kämen große Probleme bei der Kommunikation zwischen Schulen und Eltern: "Es gibt viele Eltern, die glauben, sie müssten ihre Kinder vor der Schule gewissermaßen retten." So könnten Kinder aber nicht das nötige Grundvertrauen der Schule gegenüber aufbringen.
In einem brechend vollen Hörsaal der Pädagogischen Hochschule in Salzburg versuchte der bekannte Buchautor ("Warum ich fühle, was du fühlst", "Prinzip Menschlichkeit", "Lob der Schule") am 24. Jänner in einem Vortrag, den Problemen der Schule aus neurobiologischer Sicht auf den Grund zu gehen. Das sei auch nötig, denn immer mehr Leistungskontrollen allein führten nicht zu besseren Ergebnissen: "Vom vielen Wiegen wird die Sau nicht fett."
Erster Ansatzpunkt sind für Bauer dabei die Motivationssysteme des Mittelhirns. Sie würden von drei Arten von Botenstoffen gesteuert: Dopamin sorge für Tatendrang, Opioide für Freude am Tun und Oxytozin steigere die Vertrauensbereitschaft. Wirken alle drei zusammen, seien die besten Lernbedingungen gegeben. Es sei wichtig, dass Kinder Freude am Lernen hätten, sagt Bauer: "Viele meinen, dass es ein Ausdruck von Fleiß und Leistungsbereitschaft ist, wenn man immer griesgrämig herumläuft. Das Gehirn ist überhaupt nicht dieser Meinung."
Bester Auslöser für die Botenstoffe der Motivationssysteme sind nach neurobiologischen Erkenntnissen Anerkennung, Beachtung und Sympathie durch Mitmenschen. Damit solle aber nicht einer Kuschelpädagogik das Wort geredet werden, sagt Bauer: "Anerkennung und Beachtung heißt nicht, immer in Watte gepackt zu werden. Das ist ein Missverständnis." Es gehe darum, die Schüler als Persönlichkeiten ernst zu nehmen. Daneben könnten auch Bewegung und Musik Motivation auslösen. Mehr Sport, Musik, Tanz und Theater in der Schule seien vonnöten, schließt Bauer.
Den zweiten neurobiologischen Ansatzpunkt in Bauers Analyse bilden die so genannten Spiegelneuronen. Das sind etwa 15 Prozent aller Nervenzellen, die neben ihren gewöhnlichen Aufgaben noch eine zusätzliche Funktion haben: Sie simulieren im Hirn jene Erlebnisse und Empfindungen, die gerade bei Mitmenschen beobachtet werden, fühlen sich also in andere Individuen ein. Damit sind sie laut Joachim Bauer die Grundlage für das Lernen am Modell und "das Auge im Orkan der Pädagogik": "Der Erwachsene muss wollen, dass das Kind etwas leistet, sonst kann das Kind nichts leisten wollen."
Kinder hätten ein Auge für die oft unbewussten Reaktionen Erwachsener auf ihr Verhalten. Die richtige Körpersprache sei daher vor allem für Lehrer enorm wichtig, sagt Bauer. Das Kind suche nach drei Auskünften. Erstens: "Nimmst du mich überhaupt wahr? Bin ich für dich jemand?" Das sei aber das Sparprogramm, allein reiche das nicht aus. Zweitens: "Sag mir, wer ich bin. Ordne mich irgendwie ein." Hier sei der Ansatzpunkt für konstruktive Kritik. Und drittens: "Zeig mir, was ich werden kann, was meine Potenziale sind, was du mir zutraust." Zwischen den Zeilen merke das Kind, ob der Lehrer an dessen Zukunft glaube.
Auslöser für destruktive Aggression sei – neben aktuell zugefügtem körperlichem Schmerz und früheren Gewalterfahrungen – vor allem auch soziale Ausgrenzung. Die Nichtbeachtung durch Mitmenschen könne im Hirn die gleichen Reaktionen auslösen wie eine Verbrennung an der Hand, wie Bauer anhand von Untersuchungen im Kernspin-Tomographen demonstriert.
Bauers wichtigste Schlussfolgerung: Er gehöre "zu den altmodischen Fossilen, die der Meinung sind, dass kleine Klassen immer noch eine wichtige Bedingung sind für gute Bildung". Kleinere Gruppengrößen erhöhten die Chance der Schüler, als Individuen vom Lehrer beachtet zu werden. Außerdem müsse die pädagogische Bildung eine breiteren Raum in der Lehrerausbildung einnehmen. Sie sei im Moment vor allem in der universitären Ausbildung von Lehrern höherer Schulen unterrepräsentiert.
Weiters tritt Bauer für eine "Dekomprimierung des Vormittagsunterrichts" ein, die Verteilung des fordernden Lernstoffs auf den ganzen Tag. Das solle aber nicht dazu führen, erläutert der Psychiater, "dass wir ganztags den gleichen Schwachsinn machen, den wir jetzt am Vormittag haben". Abwechslung zwischen intensiven Lernphasen und motivierenden Gemeinschaftserlebnissen mit Musik und Bewegung sei gefragt.