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Samstag stellte sich SG-Händler Jérôme Kerviel, der fünf Milliarden Euro verzockt haben soll und jetzt in Haft ist. Wie und warum er tat, was er tat, ist weiterhin ein Rätsel.

Foto: EPA/Poulpiquet
Paris - Die französische Finanzpolizei hat am Sonntag den zweiten Tag in Folge den Börsenhändler vernommen, der für Verluste in Höhe von fast fünf Milliarden Euro bei der Großbank Société Générale (SG) verantwortlich sein soll. Der 31-jährige Jérôme Kerviel habe sich am Samstag den Behörden gestellt und verhalte sich kooperativ, erklärte Staatsanwalt Jean-Michel Aldebert. Heute, Montag, soll Kerviel einem Richter vorgeführt werden.

Vollmachten überschritten

Ein Rätsel ist weiter das Motiv des Traders. Nach Angaben von "SocGén", wie die Bank in Paris genannt wird, habe er sich durch seine betrügerischen Geschäfte vermutlich nicht persönlich bereichert. Eine bemerkenswerte Erklärung, wie es zu den Megaverlusten kam, bot SG-Chef Daniel Bouton in einem Zeitungsinterview: Demnach habe Kerviel seine Vollmachten überschritten und mit seinen Geschäften mehr Geld eingenommen als ihm zugeordnet gewesen sei. Nur darum habe er versucht, durch vorsätzliche Verluste seinen Überschuss abzubauen, was bis zum 21. Jänner gutgegangen sei. Erst der größte Kurseinbruch seit dem 11. September 2001 habe dann "aus dieser traurigen Angelegenheit eine griechische Tragödie" gemacht.

Die Aufdeckung des Skandals hatte ein Beben ausgelöst und die Frage aufgeworfen, ob der Broker tatsächlich völlig eigenständig gehandelt hatte. Einige Analysten vermuteten außerdem, die SG habe den Zwischenfall mit ihrem Handeln noch verschlimmert. "Das ist absurd", sagte dazu Bouton. Jeder könne sich ausrechnen, inwieweit die französische Bank an Entwicklungen der internationalen Finanzmärkte der vergangenen Tagen beteiligt gewesen sei.

Der Milliardenskandal könnte ein maßgeblicher Auslöser der weltweiten Verluste auf den Märkten gewesen sein. Kerviel soll gigantische Wetten in Höhe von bis zu 50 Mrd. Euro auf einen Anstieg der Indizes Euro Stoxx 50, Dax und FTSE aufgebaut haben, berichteten die "Herald Tribute", "Der Spiegel" und das "Wall Street Journal" unter Berufung auf Händlerkreise.

Alarmsignale

Der Dax habe bis 18. Jänner 600 Punkte verloren, Kerviel damit vermutlich zwei Mrd. Euro, spekulieren Insider. Zu diesem Zeitpunkt könnten Verlust und Überschreitung des Handelslimits der deutschen Niederlassung des Finanzdienstleisters Newedge aufgefallen sein, die für die SG Eurex-Geschäfte abwickelt. Angeblich erhielten die Bankenchefs Alarmsignale aus Deutschland. Panisch hätten sie alle Positionen des SG-Händlers liquidiert, mitten hinein in die einbrechenden Märkte. Das habe sowohl die Verluste der SG vergrößert als auch den Börsenrutsch in eine Lawine verwandelt.

Kerviels hochriskante Geschäfte seien am 18. Jänner vom System der SG entdeckt worden, sagte Bouton. Am 20. Jänner sei das Management über das gesamte Ausmaß des Problems informiert worden. Als einen Tag später die Finanzmärkte in Asien und Europa kollabiert seien, "hatte das einen katastrophalen Effekt".

In einer fünfseitigen Stellungnahme weist die SocGén die Spekulation zurück, dass sie die Märkte zum Absturz gebracht hätte. Die Positionen des Händlers von 50 Mrd. Euro seien im Laufe von drei Tagen auf kontrollierte Art abgebaut worden, was zu dem bekanntgewordenen Fünf-Milliarden-Verlust geführt habe. (AP, red, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28.1.2008)