Auf dem Währinger jüdischen Friedhof wurde das Gestrüpp durch das Stadtgartenamt entfernt – einmalig, wie es jedoch heißt. Die Steine sind weiter dem Verfall preisgegeben.

Foto: DER STANDARD/ Heribert Corn

Moose und Flechten lassen die Grabsteine auf dem Friedhof in Hamburg ganz in Grün erscheinen. Fehlende Teile der Steine wurden nicht ersetzt, sondern extra sichtbar gemacht.

Foto: DER STANDARD/ Peter Mayr
Wien/Hamburg – In einer Allee werden gerade Bäume gefällt. Die Arbeiter brauchen dafür schweres Gerät, ein Kran steht bereit. Weiter weg von dieser Hauptachse, in den kleineren Seitenwegen, wirken auch die hier liegenden Grabreihen gepflegt – dahinter schaut es anders aus. Jetzt, im Winter, sieht man nicht so deutlich, wie hier am jüdischen Teil des Zentralfriedhofs (Tor 1) das Gestrüpp wuchert. In vielen Reihen werden dafür die kaputten Steine sichtbar, an einigen Stellen liegen sie auf einem Haufen.

320.000 Euro zahlt die Stadt Wien jährlich für die Friedhofserhaltung an die Israelitische Kultusgemeinde. Das meiste Geld fließt in die einzige noch benutzte Anlage, jene am Zentralfriedhof Tor 4. Was übrig bleibt, wird beim Tor 1 eingesetzt. Andere Grabanlagen gehen leer aus – wie der Währinger Friedhof. Dort arbeitete zwar im Vorjahr das Stadtgartenamt. Die Grabsteine "sind nicht angegriffen worden", sagt die Historikerin Tina Walzer, die die Geschichte des jüdischen Friedhofes erforscht. Dementsprechend sieht es aus: Viele Steine sind umgefallen, liegen zerbrochen herum. "Es fehlt eine gesetzliche Lösung. Der Währinger Friedhof gehört saniert, sonst ist alles für immer hin."

Deutschland: Bund-Länder-Vereinbarung

Was in Österreich seit dem Zweiten Weltkrieg Gegenstand politischer Debatten ist, ist in Deutschland längst kein Thema mehr: Seit 1958 finanziert dort eine Bund-Länder-Vereinbarung die Pflege vor allem historischer, also längst geschlossener Friedhöfe – in Österreich streiten Bund und Länder bis heute. Schnell ging’s hierzulande nur bei Soldatengräbern. Deren Pflege zahlt die Republik seit 1948.

Die Kultusgemeinde hat erst vergangene Woche zum wiederholten Mal auf diesen Missstand aufmerksam gemacht. Gemeinsam mit den Grünen hat sie eine Gesetzesinitiative für die 61 österreichischen Friedhöfe präsentiert. Diesen Donnerstag reagierte der Wiener Bürgermeister. Sein Vorschlag: Wenn der Bund die Friedhöfe instand setzt, übernimmt Wien künftig deren Pflege. Was bedeutet: Die Verhandlungen gehen weiter.

Dass Deutschland in dieser Frage ein anderes Verständnis hat, zeigt das Beispiel Hamburg. Der Friedhof Königstraße wirkt ganz in Grün getaucht. Die vielen Grabsteine sind, wie einer Patina gleich, von Flechten und Moos übersät. Eine unauffällige Mauer trennt das Gelände vom Grau der Straße, mitten in Altona, ein paar hundert Meter von der Reeperbahn entfernt.

"Staat macht Basisarbeit"

"Der Staat macht bei uns die Basisarbeit", erklärt der Sprachwissenschafter Michael Studemund-Halévy die Hamburger Situation. Er erforscht seit Jahren im Auftrag des Hamburger Instituts für die Geschichte der deutschen Juden die sefardischen Gräber in Altona. Nicht immer läuft es so gut wie hier, bemängelt die Hamburger jüdische Gemeinde.

Im Vergleich zu Österreich wird aber wohl auf hohem Niveau gejammert. Eine Zahl: Im Haushaltsjahr 2006 ergingen 585.000 Euro allein für die Pflege des Friedhofes Berlin-Weißensee. In Hamburg spenden Stiftungen zusätzliches Geld, etwa die Stiftung Denkmalschutz.

Direkt beim Friedhofseingang steht sogar ein neues Gebäude, ein Pavillon, der als Bibliothek und Ausstellungsraum genutzt werden soll. Panoramascheiben lassen auf den 1611 gegründeten und damit ältesten jüdischen Friedhof der Hansestadt blicken. Studemund-Halévy tänzelt bei seiner Führung um die Grabsteine herum, weiß zu jedem etwas zu sagen, hier eine Inschrift, dort ein in Stein gehauenes Wappen. Zirka 8000 Grabsteine gab es, als der Friedhof 1869 schloss.

"Wien soll nicht warten"

Dass in Österreich jüdische Friedhöfe von Kommunen wie Staat nicht umsorgt werden, löst in Deutschland Staunen aus. "Das hätte ich nicht erwartet", sagt etwa Irina von Jagow von der Stiftung Denkmalpflege, als der grüne Wiener Gemeinderat Marco Schreuder vom politischen Hickhack um die Pflegekosten erzählt. Schreuder ist extra nach Hamburg gereist, um sich vor Ort ein Bild von der deutschen Lösung zu machen. Sein Fazit: "Wien soll nicht warten und schon jetzt mit der Pflege beginnen. Dann kann vieles noch gerettet werden."

Der Hamburger Friedhof dient aber nicht nur als Forschungsobjekt. "Wir wollen ihn für Interessierte öffnen", sagt der Experte. Sicherheitsprobleme habe es keine gegeben, abgesehen davon, dass Junkies und Obdachlose die Gräber schon als Verstecke nutzten. Zur Reeperbahn ist es eben nicht weit. Und es gibt noch ein ehrgeiziges Ziel: die Aufnahme in die Liste der Weltkulturerbe. "Aber", sagt Studemund-Halévy, "das wird noch dauern." (Peter Mayr/DER STANDARD, Printausgabe, 26./27. Jänner 2008)