Der "Olympische Bogen" in Turin hat heute ein breiter gewordenes Spektrum der Stadt zu überspannen.

Foto: Comune Torino

Keine italienische Großstadt hat in den letzten Jahren einen derartigen Wandel erlebt wie Turin. Die ehemalige Hauptstadt Italiens (1861-1865) war nicht zuletzt wegen der mehrjährigen Fiat-Krise dazu gezwungen, ihr Image als trostloser Industriestandort zu korrigieren. Zweifellos hat die Winterolympiade 2006 dazu beigetragen, dass die Stadt mit knapp einer Million Einwohnern inzwischen zu einer der attraktivsten Kulturmetropolen des Landes geworden ist.

 

Mit dem sportlichen Großevent wurden auch die Museen renoviert, und mit der vielerorts sichtbaren architektonischen Erneuerung der Stadt hat man sich alter Scheuklappen entledigt. Großes Verdienst an der gelungenen Metamorphose hatte zweifellos der gegenwärtige Vizerektor der Universität Politecnico, der an am MIT in Boston ausgebildete Professor Valentino Castellani. Die Gelegenheit dazu hatte er als Bürgermeister Turins (1993- 2001), also just in einer Zeit, als die Fiat-Krise ausbrach.

Von einer allgemeinen Katerstimmung, deren erneutes Eintreten man für den Zeitraum nach der Olympiade befürchtete, ist keine Spur zu sehen: Die Barockfassaden der Häuser wurden neuverputzt, die prächtigen Jugendstilbauten renoviert, das Ägyptische Museum restrukturiert. Und spätestens 2010, wenn Turin mittels der im Bau befindlichen Hochgeschwindigskeitsverbindung nur mehr 50 Bahnminuten von Mailand entfernt sein wird, erwartet sich die Stadt einen neuen Boom - gerade rechtzeitig, denn 2010 wird hier die Olympiade für die Jugend abgehalten.

Veränderungswillig

Städte, die wie Turin mit modernen Museen - sprich: der Galleria Civica d'Arte Moderna und natürlich dem Lingotto, dem von Renzo Piano umgestalteten Fiat-Werk mit der Pinacoteca Agnelli - ihr Interesse an Kunst und auch Veränderung beweisen wollen, zeichnet die Internationale Vereinigung für Industriedesign von nun an alle zwei Jahre mit dem Titel "World Design Capital" aus. Vergeben wird die Auszeichnung zum ersten Mal, Turin spielt dabei die Rolle des Versuchskaninchens.

Turin ist also 2008 die erste Welthauptstadt des Designs. Die hier ansässigen Spitzendesigner sind die Väter der Formen der Ferraris, des Golf, des Fiat Panda und unzähliger Erfolgsmodelle von Peugeot, Citroën oder Alfa Romeo. Schließlich leben und fertigen hier nach wie vor Autodesigner wie etwa Giorgio Giugiaro, Pininfarina oder Ugo Bertone.

Als Tourist würde man wahrscheinlich wenig davon merken, dass hier nun Designer aus der ganzen Welt zusammentreffen, ihre Arbeiten präsentieren und über neue Trends diskutieren, gäbe es da nicht den erst letztes Jahr geschaffenen Kulturkalender "Contemporary Arts Torino Piemonte", der auch Veranstaltungen und Ausstellungen zum Thema zusammenfasst. Allerdings beschränkt er sich nicht auf das Schaffen der Designer - Musik, Theater und Film wurden ebenso in die- ses Programm integriert. Höhepunkt soll jedenfalls der weltweite Architektenkongress sein, der hier von 29. Juni bis 3. Juli stattfindet.

Seit Jahrzehnten nimmt Turin allerdings auch eine Vorreiterrolle im kulinarischen Leben Italiens ein. Nur wurde damit nie groß Werbung gemacht - man bewegt sich ja bewusst mit ganz anderer Geschwindigkeit. So setzt auch der neue Fresstempel "Eataly" - angeblich der größte Naschmarkt der Welt - nur konsequent die Tradition der "Slow-Food-Bewegung" fort, die ja hier bereits eine eigene Messe bekommen hat.

Immer schon gemächlich ging's in den ältesten Kaffeehäusern Italiens zu. Wo man ganz nach oft überholtem Wiener Vorbild noch stundenlang Zeitung lesen kann und nicht einfach Kaffee bestellt, sondern wenigstens zwischen einem köstlichen "marocchino" (Variation unseres kleinen Braunen) oder dem "bicerin" (geschichtete Schokolade mit Kaffee und Schlag)" wählt und dann nicht weiter erstaunt ist, wenn er in einem formschönen Häferl daherkommt. (Thesy Kness-Bastaroli/DER STANDARD/Printausgabe/26./27.1.2008)