Die US-Notenbank Federal Reserve senkt die Leitzinsen in einem dramatischen Schritt – und wird dafür von allen Seiten kritisiert. Die Europäische Zentralbank wartet ab und holt sich dafür ebenso viel Schelte ein – von Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy bis zu Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl.

Auch wer von Geldpolitik nichts versteht, könnte in diesem Moment etwas Mitleid mit Fed-Chef Ben Bernanke und EZB-Präsident Jean-Claude Trichet entwickeln. Deutlich schlechter bezahlt als ihre Kollegen in den großen Geschäftsbanken werden die beiden zunehmend zu den Prügelknaben der Weltwirtschaft.

Doch all den Politikern, Ökonomen und Händlern, die Bernanke und Trichet vorwerfen, in der jetzigen Krise zu versagen, gehört die Frage gestellt, wie sie es denn besser machen würden. Da bleiben sie die Antwort schuldig. In einer Zeit massiver Unsicherheit handeln Bernanke und Trichet mit einer guten Mischung aus Vernunft, Augenmaß und Entschlossenheit.

Komplexes Thema

Geldpolitik ist eine der heikelsten und komplexesten Instrumente der Wirtschaftspolitik. Grundsätzlich wünschen sich Unternehmen immer niedrigere Zinsen, und in manchen Situationen ist es auch notwendig, deutlich mehr und billigeres Geld in die Wirtschaft zu pumpen. Eine viel zu restriktive Geldpolitik war eine der Hauptursachen für die Weltwirtschaftskrise der 30er-Jahre, durch die bekanntlich Adolf Hitler an die Macht gelangen konnte.

In der Realwirtschaft wirken Zinsveränderungen erst mit einer Verzögerung von rund einem Jahr: Der Zinsschritt von heute muss zur Konjunktur von 2009 passen, die derzeit niemand genau voraussagen kann. Doch Zinssenkungen haben auch eine sofortige psychologische Wirkung: Sie stärken das Vertrauen von Märkten und Unternehmen, was verhindern kann, dass eine Volkswirtschaft in die Rezession schlittert. Das war wohl das Hauptmotiv der Fed und ist, was nun viele von der EZB fordern.

Aber auch eine lockere Geldpolitik hat ihren Preis. Sie erhöht mittelfristig die Inflation und zwingt die Notenbanken später dazu, umso kräftiger auf die Bremse zu steigen. Das war die schmerzliche Erfahrung der inflationären Siebzigerjahre, die schließlich in die Rezessionen der Achtzigerjahre mündete.

Niedrigzinsen heizen die Finanzspekulation an

Noch lange vor der Realwirtschaft heizen Niedrigzinsen die Finanzspekulation an. Die Geldpolitik von Bernankes einst gefeiertem Vorgänger Alan Greenspan hat zwar die US-Wirtschaft nach dem 11. September 2001 wiederbelebt, aber auch die heutige Finanzkrise verursacht. Es ist ganz wichtig, dass die Fed diesen Fehler nicht wiederholt. _Wäre die EZB vor fünf Jahren dem US-Beispiel gefolgt, dann wäre die Konjunktur in Europa ein wenig früher angesprungen als sie es tat. Dafür aber hätten wir jetzt eine Inflation, die wirklich schmerzen würden und ähnliche Spekulationsblasen wie in den USA. Trichet hat recht getan, die Zurufe vom Balkon zu ignorieren und einen verlässlichen Antiinflationskurs zu fahren.

In der aktuellen Krise haben beide Zentralbanken seit vergangenem Sommer alles getan, um die bedrohliche Liquiditätsklemme im Interbankenmarkt zu mildern. In ihrem Zinskurs hat die Fed zunächst vorsichtig agiert, weil sie nicht abschätzen konnte, wie sich die US-Konjunktur weiterentwickelt. Als das Ausmaß des Abschwungs offensichtlich wurde, hat sie rasch gehandelt. Ob der Schritt eine Wende einleitet, ist offen, denn Wunder kann auch eine Notenbank nicht vollbringen. Und Kursverluste an den Börsen zu verhindern gehört sicher nicht zu ihren Aufgaben.

In Europa hingegen ist keine Rezession in Sicht, höchstens ein langsameres Wachstum. Dafür steigen die Preise so schnell wie schon lange nicht. Ob Unternehmen heute investieren, hängt mehr von ihrer Markteinschätzung ab als vom Preis der Kredite.

Für Zinssenkungen gibt es anders als in den USA bei uns keinen Grund. Und sollte sich die Lage ändern, dann hat die EZB stets bewiesen, dass ihr Wachstum und Arbeitsplätze nicht gleichgültig sind. (DER STANDARD; Print-Ausgabe, 25.1.2008)