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Ägyptische Sicherheitsleute versuchen anfangs noch den Ansturm der Palästinenser zu stoppen.

Foto: AP Photo/Khalil Hamra

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Palästinenser am Grenzübergang Rafah

Foto: Getty Images/ Abid Katib
Als Reaktion auf die israelische Blockade haben hunderttausende Palästinenser aus dem Gazastreifen die Grenzabsperrungen zu Ägypten durchbrochen. Sie decken sich in dem Nachbarland mit Lebensmitteln, Medikamenten und Benzin ein. Präsident Hosni Mubarak lässt sie vorerst gewähren.

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Rafah/Kairo - Die Bilder erinnern an den Fall der Berliner Mauer. Die Bresche in der acht Meter hohen Metallmauer, die Rafah in einen ägyptischen und einen palästinensischen Teil trennt, ist gewaltig. Gleich an mehreren Stellen hatten in der Nacht zum Mittwoch palästinensische Militante die Sperranlage gesprengt, worauf hunderttausende Palästinenser die Grenze nach Ägypten überqueren konnten. Die radikalislamische Hamas bestritt, den Exodus organisiert zu haben. Ein Sprecher zeigte aber Verständnis und wies darauf hin, dass seine Organisation schon früher vor einer solchen Explosion gewarnt hatte.

Ägyptens Präsident Hosni Mubarak erklärte in Kairo am Rande der Buchmesse, er habe seine Truppen angewiesen, die Palästinenser hereinzulassen, weil sie hungerten. Solange sie keine Waffen trügen, könnten sie kommen, sich Essen kaufen und danach zurückkehren.

Zu Fuß, in Autos und mit Eselskarren zog ein unablässiger Strom von Palästinensern, unter ihnen viele Frauen und Kinder in den ägyptischen Teil von Rafah und viele von ihnen dann noch 40 Kilometer weiter in die Kreisstadt el-Arish. Vor den Kameras arabischer Fernsehsender machten schwarz vermummte Frauen ihrem Zorn Luft: "Wir verhungern, und die Welt schaut zu." Die ägyptischen Grenzpolizisten ließen den Strom passieren. Kontrollen durch Hamas-Mitglieder gab es dagegen auf palästinensischer Seite.

Sturm auf die ägyptischen Geschäfte

Beim Sturm auf die ägyptischen Geschäfte waren Lebensmittel jeder Art sowie Arzneimittel die gesuchtesten Artikel. Zudem wurden Benzin und Diesel in Kanistern nachhause geschleppt. Manche dieser Artikel gibt es in Gaza nicht mehr zu kaufen, die anderen kosten in Ägypten ein Drittel oder ein Viertel. Viele Familien deckten sich gleich für Wochen und Monate ein. Kranke ergriffen die Chance, sich in ägyptischen Spitälern behandeln zu lassen.

Vor sechs Tagen hatte Israel den Gazastreifen vollkommen abgeriegelt und erst am Dienstag wieder Treibstoff für das einzige Kraftwerk zugelassen. Ägypten wollte 40 Lkws mit Hilfsgütern senden, aber Israel ließ den Konvoi nicht passieren. Diese Weigerung dürfte Mubarak veranlasst haben, die Schleusen zu öffnen.

Der Druck ist nicht nur im Gazastreifen gestiegen, sondern auch in Ägypten. Angeführt von den Muslim-Brüdern haben mehrere Parteien und Berufsverbände für die kommenden Tage große Demonstrationen angekündigt, um gegen die Zustände im Gazastreifen zu protestieren. Diese Proteste hätten sich auch gegen die Untätigkeit der ägyptischen Regierung und anderer arabischer Staaten gerichtet.

Neue Tatsachen geschaffen

Die Grenze in Rafah, dem einzigen Tor aus Gaza in nichtisraelisches Gebiet, ist seit der Machtübernahme der Islamisten im vergangenen Juni geschlossen. Auch davor war es die meiste Zeit zu. Im letzten Sommer blieben Tausende über Wochen ausgesperrt, weil sie von der Grenzschließung überrascht wurden.

Ein ähnlicher Strom von Palästinensern hatte sich im September 2005 nach Ägypten ergossen, nur Tage nachdem das israelische Militär sich aus dem Gazastreifen zurückgezogen hatte. Damals schauten die ägyptischen Sicherheitsbehörden etwa eine Woche zu, dann schritten sie ein und riegelten alle Schlupflöcher ab. Diesmal ist die Mauer aber zu zwei Dritteln weg, und Bulldozer haben das Gelände eingeebnet. Jetzt können sogar Autos passieren. Die Grenze wieder dichtzumachen, wird nicht mehr so einfach sein. (Astrid Frefel/DER STANDARD, Printausgabe, 24.1.2008)