Behindertensprecher Huainigg erläutert die praktische Relevanz eines von Kanzler Alfred Gusenbauer geprägten "politischen Unworts" für den Alltag der Betroffenen.

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Kaum hat das Jahr begonnen, gibt es im Pflegebereich eine neue Devise: "Schwamm drüber!" Dieses geflügelte Wort ist nicht nur dazu angetan, das "Unwort" des Jahres 2008 zu werden, sondern verärgert behinderte und ältere Menschen massiv, da sie sich mit ihren täglichen Problemen von der Politik im Stich gelassen fühlen. So ist beispielsweise ausgerechnet ein "Schwamm drüber" bei der Körperpflege durch Betreuer/in oder Assistent/in gesetzlich untersagt, ebenso wie auch Essengeben, Zähneputzen, Katheterisieren oder das lebensnotwendige Absaugen einer verschleimten Atemkanüle.

Das Gesundheits- und Krankenpflegegesetz ist ausschließlich für stationäre Einrichtungen konzipiert worden und erlaubt die Durchführung dieser Pflegetätigkeiten nur durch diplomierte Fachkräfte. Im Krankenhaus, wo Ärzte, Krankenschwestern und spezifische Fachexperten jederzeit verfügbar sind, hat dies seine Berechtigung. Im integrierten Alltag behinderter Menschen ist diese gesetzliche Regelung jedoch völlig praxisfremd. Hier drei Beispiele:

Arbeit trotz Pflege

Barbara kann trotz hohem Pflegebedarfes einer Arbeit nachgehen. Die persönliche Assistentin begleitet sie zum Arbeitsplatz, gibt ihr das Essen und hilft ihr, wenn sie auf die Toilette muss. Ohne diese Hilfeleistungen könnte sie keinem Beruf nachgehen. Die persönlichen Assistentinnen sind angelernte Studenten, die die Pflegetätigkeiten sehr professionell durchführen. Allerdings nicht legal. Denn im §50A des Ärztegesetzes kann zwar jede Person eingeschult werden, darf für diese Pflegetätigkeiten aber kein Geld bekommen.

Ilona muss von Kindheit an katheterisiert werden. In der Schule musste sie oft so dringend auf die Toilette, dass sie sich häufig gar nicht mehr auf den Unterricht konzentrieren konnte. Es hieß jedoch immer warten, bis die Krankenschwester kommt. Als Ilona auf Schullandwoche mitfahren wollte, sagte man: "Geht nicht: Ilona kann nicht katheterisiert werden und es ist zu teuer, die Krankenschwester auf Schullandwoche mitzunehmen!" Ein Lehrer ergriff die Initiative, ließ sich von der Mutter einschulen und katheterisierte Ilona während der Aktionswoche "auf eigene Kappe".

Unnötige Barrieren

Martin (9 Jahre) wird seit einem Jahr durch eine Maschine beatmet. Bei ihm wagte es kein Lehrer, sich "auf eigene Kappe" in notwendige pflegerische Tätigkeiten, wie das Absaugen der Atemkanüle, einschulen zu lassen. So sitzt er heute zu Hause vor seinem Computer und verfolgt den Unterricht live über eine Webkamera. Der so wichtige Kontakt mit den gleichaltrigen Schulkollegen kann so nicht funktionieren. - Was tun?

Die Tätigkeitsbereiche der verschiedenen Berufsgruppen wie diplomierter Krankenpfleger, Pflegehelfer, Altenbetreuer oder Familienhelfer sind strikt voneinander abgegrenzt. Berufständische Interessen dürfen jedoch nicht über den Lebensanforderungen integrierter behinderter Menschen stehen.

Flexible Modelle

Dringend gefordert sind flexible Modelle, wie sie vor wenigen Tagen im Standard auch die Präsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Pflegefachverbandes, Ursula Frohner vorschlug: Es komme darauf an, sagte Frohner, "dass eine diplomierte Fachkraft in jedem Fall ein individuell angepasstes Pflege- und Betreuungskonzept ausarbeitet. Dann kann sich die Betreuungsperson - ob ein Angehöriger oder eine bezahlte Betreuerin - einige Wochen unter Anleitung einarbeiten und schließlich die fachgerechte Pflege selbst übernehmen." Dem ist voll inhaltlich zuzustimmen: Ein solches auf die individuellen Bedürfnisse der Pflegebedürftigen ausgerichtetes Modell einer "zertifizierten Assistenz" wäre für alle Beteiligten von Vorteil.

Monika Wild, Pflegeexpertin des Roten Kreuzes, hat schon im August vergangenen Jahres in der Österreichischen Pflegezeitschrift festgestellt, dass es ehrlicher wäre, die Heimbetreuer/innen Pflegetätigkeiten durchführen zu lassen und dies entsprechend zu legalisieren: "Legal hieße in diesem Zusammenhang insbesondere, eine Änderung des Berufsrechts der Gesundheits- und Krankenpflege. Bereits jetzt sind Angehörige, Nachbarn und auch Haushaltshilfen, wenn sie ihre Tätigkeit nicht entgeltlich durchführen, von den Bestimmungen des GuKG's ausgenommen".

Am Kernproblem vorbei

Der vergangene Woche im Parlament eingebrachte Entschließungsantrag zur Krankenpflegeverordnung sieht nur Ausnahmebestimmungen für Körperpflege und Nahrungsverabreichung vor. Dies geht am Kernproblem vorbei, da weiterhin viele Pflegetätigkeiten illegal und unkontrolliert durchgeführt werden würden. Es braucht eine umfassende Lösung, die durch Einschulung und Begleitung der Heimbetreuer/innen und/oder Assistenten qualitätsvolle Pflege gewährleistet, statt wie bisher in der 24-Stunden-Betreuung und bei der persönlichen Assistenz nur "Schwamm drüber" zu erlauben. (Franz-Joseph Huainigg, DER STANDARD, Printausgabe 21.1.2008)