Anne-Marie Slaughter, George Soros, Alexandra Föderl-Schmid, Joschka Fischer und Karl Schwarzenberg diskutieren in Wien im Burgtheater.

Foto: Cremer/DER STANDARD
Dazu kamen am Sonntag in Wien auf Einladung des STANDARD prominente Diskutanten zur Sache.

***

Wien - Den ersten Lacher hatte Krzyzstof Michalski. Der Rektor des Wiener Instituts für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) trat am Sonntag nach einer langen Reihe von Begrüßungsrednern auf und erleichterte das Publikum mit dieser Ankündigung: "Ich bin der Letzte." Schallendes Gelächter der rund tausend Besucher im Burgtheater. Die Debatte über eine aus den Fugen geratene Weltordnung und Europas Rolle konnte beginnen. Und sie nahm ihren Lauf mit einem flammenden amerikanischen Plädoyer für die Europäische Union. Anne-Marie Slaughter, die Dekanin des Woodrow Wilson-Centers an der Princeton University, gab den quasi konstitutiv verzagten Europäern eine Lektion in positiver Wahrnehmung: "Ich sehe die EU als ein Modell für das 21. Jahrhundert. Europa ist mächtig, weil es sozial gerecht, nachhaltig entwickelt und tolerant ist." Aber Europa verstehe sich auch selber nicht, weil es sich durch die politische Linse des 20. Jahrhunderts betrachte. Europa realisiere nicht, wie gut es eigentlich funktioniert, sagte die Professorin ganz im Sinne der Allianz Stiftung, die mit ihrer Reihe "Reden über Europa" am Sonntag erstmals in Österreich Station machte.

Der frühere deutsche Außenminister Joschka Fischer, der seinerseits zuletzt ein Jahr in Princeton unterrichtet hatte, sah die Sache indes etwas skeptischer. Nach der Außensicht lieferte er seine Innensicht der Verhältnisse: "Die EU ist eine große Erfolgsstory, ja. Aber angesichts des Aufstiegs Chinas und des Wiedererstarkens Russlands müssen wir uns Fragen, ob das traditionelle Integrationsmodell der EU noch funktioniert. Meine Antwort ist: Das Niveau der der Integration reicht nicht aus." Europa dürfe sich nicht wie zuletzt bei der Nahostkonferenz im amerikanischen Annapolis mit einer Rolle als Zahler und einem Platz am Katzentisch begnügen, sondern müsse als Weltmacht mitspielen. Und dafür seien auch die großen EU-Staaten in der Verantwortung. "Aber bisher ist es immer noch so, dass die EU als gemischter Chor auftritt. In China etwa ernten wir dafür ein breites Lächeln. Denn die wissen dort, dass wir dadurch einfache Kundschaften sind."

Selbstbewusstes Tschechien

Karel Schwarzenberg, der Außenminister des in Brüssel durchaus selbstbewusst auftretenden Tschechien, relativierte indes die Begriffe "old and new Europe" (Copyright: Donald Rumsfeld). "Das ist Nonsens. Die fundamentalen Differenzen in der europäischen Außenpolitik spielen sich viel eher zwischen Großbritannien und Frankreich ab als zwischen dem angeblich neuen und alten Europa." Er vermisse vor allem einen politischen Willen, Europa groß zu machen. "Einmal hieß es: Österreich ist alles, wenn es nur will. Heute könnte es lauten: Europa könnte alles sein, wenn es nur wollte." Ein Beispiel? "Schauen sie in den Kosovo: Die Architektur für die Lösung des Problems dort kommt von den Amerikanern."

George Soros, ungarischstämmiger Finanzmanager und Philanthrop, indes lobte Europa als offene Gesellschaft. Die Welt brauche mehr europäisches Führungsvermögen. Europa müsse eine "proaktive Rolle" einnehmen, weil die Amerikaner mit ihren weltweiten Militäreinsätzen ihr Leadership in Bedrängnis gebracht haben. "In sehr naher Zukunft werden die USA ihre Richtung ändern. Die Europäer sollten jetzt nicht antiamerikanisch eingestellt sein, sondern eine globalere Rolle einzunehmen versuchen."

Geschickter Spalter Putin

Den Kern der Debatte sprach Soros mit der Abgabe von nationaler Souveränität an, ohne die es keine substanzielle europäische Außen- und Sicherheitspolitik geben könne. Und wieder Fischers Innenperspektive: "Es ist sehr schwer, nationale Souvereänität aufzugeben. Wenn es ums Eingemachte geht, um Krieg und Frieden, um Arbeitsmärkte. Da können keine Entscheidungen im Ausland getroffen werden. Deswegen schaffe es Russland Präsident Wladimir Putin auch so geschickt, die Europäer etwa in der Frage der Energiepolitik zu spalten. Andererseits: Wie Adolf Hitler und Josef Stalin als einigende Kräfte für Europa gewirkt haben (Schwarzenberg), so könnte auch Putin für zentripetale Anziehung in der EU sorgen. Fischer verwies explizit noch einmal auf die Energiepolitik aber auch auf die Verteidigungspolitik: "Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy will die traditionelle Spaltung zwischen Nato und EU überbrücken, das wäre eine große Chance. Auch weil die Europäer mehr als nur Militär in die Verteidigungspolitik einzubringen haben."

Fortschritte

Die Beziehungen zur neuen Administration in den USA, wer immer diese führen wird, würden sich bessern. Slaughter: "Wenn die Demokraten gewinnen, werden wir im ersten Jahr einiges an Fortschritten sehen, angefangen mit der Schließung Guantánamos." Fischer und Schwarzenberg sehen aber auch einiges an neuer Verantwortung mit einer neuen Regierung im Weißen Haus auf die Europäer zukommen: Die Budgets der USA sind am Limit, das Militär detto. Europa müsse deswegen wohl in Afghanistan und anderswo mehr Lasten übernehmen. Fischer: "In der Welt des 21. Jahrhunderts wird niemand mehr nach der österreichischen oder tschechischen Position fragen, sondern nach der Macht Europas. Europa wird deswegen in große Krisen geraten, aber am Ende werden wir es schaffen." Auch das war wohl im Sinne von "Reden über Europa" – in den kommenden Monaten veranstalten die Allianz Stiftung, das IWM, das Burgtheater, das Tanzquartier und DER STANDARD weitere solcher Debatten. (Christoph Prantner, DER STANDARD, Printausgabe, 21.1.2008)