ModeratorIn: Wir begrüßen den Meinungsforscher Peter Hajek im derStandard.at-Chat und bitten die UserInnen um ihre Fragen.

Peter Hajek: Grüß Gott, es freut mich, dass ich heute zum ersten Mal beim derStandard.at-Chat dabei sein darf.

homo sapiens: Hat das Abschneiden der SPÖ bundespolitische Ursachen oder ist dies ein rein Grazersches Phänomen?

Peter Hajek: Die Gemeinderatswahl in Graz ist sicher nur ein lokales politisches Ergebnis und wird keine Auswirkungen auf die Bundespolitik haben.

Vanilleschote: Haben die Wähler in Graz nicht eher Personen als Parteien gewählt (was vielleicht den Stimmenverlust von SPÖ und KPÖ erklärt)? Dann wäre das Ergebnis auf Bundesebene auch gar nicht interessant...

Peter Hajek: Richtig ist, dass es sich in der heutigen Zeit um personenorientierte Wahlen handelt, so auch in Graz. Insofern also nichts Neues. Das heißt, die Bundesebene wird nicht durch Graz in diesem Fall beeinflusst.

Heidelbeere: Voves und Cap haben beide die Schuld des SPÖ-Verlustes auf Ferk geschoben. Ist er wirklich ganz allein an dem Wahldebakel schuld oder hat nicht doch die Bundes- und Landespolitik?

Peter Hajek: Es stimmt, dass die Niederlage Herrn Ferk durchaus zuzuordnen ist (siehe vorherige Frage). Zurücklehnen würde ich mich aber auf Landesebene nicht - und, wenn sich der Trend fortsetzt, könnte das zu einer negativen Spirale für die Bundes SP werden.

ModeratorIn: UserInnenanfrage per Mail: Welchen Einfluss hatte der Winter-Sager auf das Stimmverhalten der GrazerInnen?

Peter Hajek: Die Grazer Grünen konnten so ihre WählerInnen mobilisieren, diese sind nämlich gar nicht so fleißige WahlgängerInnen wie oft vermutet wird.

f4500559-8cf0-4d61-b84e-c2938122a80d: Guten Tag! Würden Sie von einem "Rechtsruck" sprechen, da ja zwei linke Parteien stark verloren haben, während die konservative Partei und beide rechten Parteien gewonnen haben?

Peter Hajek: Also, Rechtsruck sehe ich keinen. Das Potential in Graz ist sicher höher als die 15 Prozent von FPÖ und BZÖ. Graz war auch nie so links, da die Stimmen für die KPÖ, Stimmen für Herrn Kaltenegger waren.

asora1: Warum hat die FPÖ nicht mehr Stimmen erreicht?

Peter Hajek: Das ist eigentlich schwer zu sagen, da wir nicht genau wissen, ob Winter tatsächlich Stimmen gekostet hat, was aber wahrscheinlich ist. Problem: Die Grenze des "Erlaubten" wurde überschritten - und: Die Kronenzeitung ist scharfe Attacken dagegen geritten. Strache hat sich ja - erst dann - distanziert.

ModeratorIn: UserInnenfrage per Mail: Hat die Winter-Hetze dem BZÖ oder den Grünen mehr genutzt?

Peter Hajek: Gute Frage! Beiden mit Sicherheit. Das BZÖ konnte sich als die rechts-konservative Alternative positionieren. Westenthaler sollte aber nicht vergessen, dass es in Graz keine "Eingangshürde" gab. Auf Dauer ist das kein Konzept.

Gorji Marzban #1: Ist BZÖ nicht der eigentliche Verlierer?

Peter Hajek: Warum? Das BZÖ ist eine Kleinstpartei ohne eigenes Profil. Somit ist der Einzug fast eine kleine Sensation.

John Stuart Mill: Sehen Sie Chance für das BZÖ ausser Graz und Kärnten in andere Parlamente / Gemeinderäte einzuziehen?

Peter Hajek: Eigentlich nein, oder sehr unwahrscheinlich. In Graz fehlte eine klassische Eingangsgrenze von z.B. 4 oder 5 Prozent. Oft ist das für die Wähler eine psychologische Hürde einer Partei ihre Stimme zu geben. Zudem fehlt es an finanziellen und personellen Ressourcen. Aber, es nicht aller Tage Abend.

asora1: Westenthaler hat gestern im Fernsehen Strache eine Zusammenarbeit angeboten. Wie ist das zu beurteilen?

Peter Hajek: Gar nicht. Das kann morgen wieder alles anders sein. Parteipolitisches Geplänkel.

f4500559-8cf0-4d61-b84e-c2938122a80d: Hand aufs Herz - hätten Sie mit diesem Ergebnis gerechnet?

Peter Hajek: Nun, bis auf die ÖVP sind alle Einschätzungen eingetroffen. Ich dachte nur, dass die KPÖ vielleicht doch etwas stärker sein wird, da auch bei der letzten Wahl 2003, die Wähler deutlich unterdeklariert waren.

natan: Sind auch Stimmen von der KPÖ/Kaltenegger zur FPÖ/BZö gewandert?

Peter Hajek: Ein paar Versprengte werden es schon gewesen sein, aber nicht von merklicher Ausprägung. Sie sind eher ins Nichtwähler-Lager tendiert.

nachtflug71: Ist die politische Meinungsforschung am Ende? Wird die "Sonntagsfrage" nach dieser (neuerlichen) Fehlprognose nicht zum sinnlosen Instrument? Oder muss man eventuell sogar besorgt sein, dass die Beeinflussung zu gross ist?

Peter Hajek: Aufklärung: Die empirische Sozialforschung ist KEINE Naturwissenschaft. Wir können nicht exakt messen, sonder uns nur der Realität statistisch annähern. Das aber sehr gut. Die Trends wurden bestätigt (bis auf ÖVP). Und wenn wir den Winter-Sager vorab inkludieren sollen, verlangt man von uns den Blick in die Kristallkugel.

Vanilleschote: Ist die geringe Wahlbeteiligung ein allgemeiner Trend? Wie schätzen Sie die Wahlbeteiligung bei den NÖ-Landtagswahlen ein?

Peter Hajek: Die geringe Wahlbeteiligung ist sicher ein westlicher Trend. Zwei Gründe sind zumeist dafür ausschlaggebend: Frust oder "alles ist klar". Grundsätzlich würde ich darum bitten, auch die Wahlenthaltung einfach als demokratisches Kommunikationsmittel anzuerkennen und nicht gleich den Niedergang des Abendlandes heraufzubeschwören.

tgaog: wie schaut es eigentloch bei den jung- und erstwählern aus?

Peter Hajek: Zur Vorfrage: Auch in NÖ kann man mit sinkender Wahlbeteiligung rechnen, wobei die ÖVP alles mobilisieren wird, was in ihrer Macht steht - und die ist nicht gering. Zu dieser Frage: Diese Gruppe ist schwer zu lokalisieren, da sie sehr klein ist und deshalb bei einem 1000er sample nicht erfasst werden kann. Die Erfahrung sagt uns: Je näher die politische Ebene (also Gemeinde) desto höher die Wahlbeteiligung.

philkan: Ist es eigentlich ein wirklicher Erfolg für die ÖVP?

Peter Hajek: Durchaus. Nagl ist ein klassischer Quereinsteiger, der sich behauptet hat. Die Konkurrenz in Graz ist groß. Die ÖVP konnte trotz vieler Kritikpunkte zulegen. Also, ich wäre happy.

asora1: was muss sich bei der Grazer SPÖ jetzt ändern?

Peter Hajek: Alles! Nun, ganz so schlimm ist es nicht. Klassische Themen wird man weiter bearbeiten müssen (siehe Stammwähler). Der Fehler in Österreich ist aber immer, dass die Partei Themen von innen kreieren ohne auf die WählerInnen zu hören. Das geht einfach nur durch Research, Research, Research .... oder: raus zum Wähler!

Vitus Mostdipfff: Hat sich Nagl jetzt für höhere Aufgaben empfohlen?

Peter Hajek: Tja, das müssen Sie den Vizekanzler fragen. Ein Bürgermeister macht noch keinen Minister.

die elster: Treibt man der FPÖ die Protestwähler nicht geradezu in die Arme, indem man sie zur "Skandalpartei" stilisiert?

Peter Hajek: Durchaus. Diesmal wurde aber eine Grenz überschritten. Das Dilemma: Wie man es macht, macht man es falsch. Bei der Wahl in Wien 2005 hat man Strache ignoriert. Das Ergebnis ist bekannt: Dritte, knapp hinter der ÖVP und vor den Grünen.

berbera: Wird die FPÖ zukünftig auf solche radikalen ver balen Ausfälle verzichten? Hat die FPÖ durch ihren Wahlkampf auf Bundesebene die nicht unwesentlichen Stimmen der FPÖ Wähler mit Migrationshintergrund für die nähere Zukunft verlohren

Peter Hajek: Kann ich mir nicht vorstellen. Sie werden nur am wording arbeiten. "Daham statt Islam" finden sogar Werber gut. Es gibt gar nicht so wenige Wählerinnen mit Migrationshintergrund, die die FPÖ wählen. Einfach aus Angst vor den nachkommenden Migranten.

Tschuri Cazzino: Wie sehen Sie die Bewertung der Graz-Wahl durch Molterer als "Signal gegen die Hetze", obwohl die Hetzer einen Stimmengewinn erzielen konnten. Muss man in Österreich schon froh sein, wenn Rassisten, Chauvinisten und Aufgehetzte nicht die Absolute ha

Peter Hajek: Es war sicher ein Signal. Aber, es ist die wichtigste und vornehmste Aufgabe der Demokratie sich diesen Themen und Parteien zu stellen. Es ist eine harte Diskussion, aber Verbieten oder die Verweigerung der Diskussion ist nicht der Weisheit letzter Schluss.

Markus Oberhauser: Wenn man die Wahlbeteiligung der letzten Wahl und dieser miteinander vergleicht und sie dann absolut zu den prozentuellen Gewinnen setzt, ergibt sich dann nicht das Bild, das die FPÖ doch massiv zugelegt hat?

Peter Hajek: Der Standpunkt bestimmt die Perspektive ;-) Keine Frage, die FPÖ hat zugelegt, das geht auch immer unter. Das Phänomen kennen wir von den Grünen. Die haben auch zumeist gewonnen, waren aber oft die Verliererin der Wahl.

Hofer Jürgen 1: Kommt der SPÖ - vor allem der Gruppe um LH Voves - die Wahlniederlage möglicherweise gar nicht so ungelegen, um den parteiintern nicht immer geliebten Herrn Ferk endgültig abmontieren zu können?

Peter Hajek: Wenn dem intern so ist, was ich jetzt nicht bestätigen kann, dann ist das immer schon die eleganteste Art gewesen, jemand "abzuservieren".

f4500559-8cf0-4d61-b84e-c2938122a80d: Glauben Sie, dass sich die SPÖ unter einem neuen Chef (Chefin) schnell erholen kann, oder liegen der Niederlage mehr grundsätzliche (strukturelle) Probleme zugrunde?

Peter Hajek: Es sind sicher strukturelle Gründe dafür verantwortlich, die aber nicht von Spitzenkandidaten zu trennen sind. Soll heißen, ein neuer Besen kehrt gut - wenn man ihn lässt.

Franz Seidler: Sind solche "Mohammed-Sager" wie neulich tatsächlich ein Imageschaden für ganz Österreich oder mißt man ihm international gesehen die Bedeutung zu die er tatsächlich hat: nämlich keine?!

Peter Hajek: Nun, die Islam-Debatte gibt es europaweit, und es hat auch schon einige Sager, ähnlich dem in Graz gegeben. Österreich ist da aber sicher unter besonderer Beobachtung. Aber, let´s face ist: Graz hat nicht diese Bedeutung.

Aufreger: Sehen Sie, abgesehen vom "Ausländerbashing", zur Zeit bei der FPÖ eigentlich ein Programm das sie verkaufen könnte?

Peter Hajek: Ja, EU-Kritik, Sicherheit, Schutz vor sozialem Abstieg et cetera. Da gibt es genug, was auch schon auf der Tagesordnung steht. Um die FPÖ "würde ich mir keine Sorgen machen".

Markus Oberhauser: "Glauben Sie keiner Statistik, die Sie nicht selbst gefälscht haben", lautet ein berühmter Spruch. Wird von der Politik her nicht auch Meinungsforschung eher zu Meinungsvorgabe degradiert? Wie sehen Sie die Gefahren durch die Einflussnahme von Minis

Peter Hajek: Man kann ihr absolut vertrauen. Die Medien haben jedoch die Aufgabe genau zu kontrollieren, wie eine Umfrage zu Stande kam. Und: der mediale Einfluss wird weit überschätzt. Kein Mensch wählt anders, nur weil die Meinungsforscher etwas publizieren. Die Uni Heidelberg hat dazu eine Studie im Jahr 1999 gemacht. Die Einflussraten liegen im einstelligen Prozentbereich.

Lord Fiddlebottom: nochmal wahlbeteiligung: was halten sie von mechanismen, die die nichwàhler berùcksichtigten? zb kònnte ich mir vorstellen, dass sitze in ràten freiblieben, entsprechend des nichtwàhleranteils (evtl abgeschwàcht). das wùrde politker zwingen, zu vers

Peter Hajek: Ich bin eigentlich dafür das Wahlsystem so einfach wie nur irgendwie möglich zu gestalten. Und stellen sie sich vor, es gehen nur mehr 20 Prozent hin .... Wer nicht geht, verwirkt sein Recht!

natan: Können Sie schon etwas bzgl Wählerströme im Vergleich zur letzten Wahl sagen?

Peter Hajek: Nein, sorry kann ich nicht. Dazu war noch nicht die Zeit. Ich verweise aber gerne auf meine KollegInnen bei www.sora.at

Hofer Jürgen 1: Für wie wahrscheinlich halten Sie die Variante Schwarz-Grün mit dem Hintergedanken, der am Boden liegenden SPÖ noch mehr zu schaden?

Peter Hajek: Dazu zwei Überlegungen: Die SPÖ wäre ein gemütlicher Partner, den viel "aufmucken" können sie jetzt nicht. Andererseits, wäre die Schwarz-Grüne Variante neu und ein Signal, aber, ob die Grünen das wollen. Das Problem in Graz. Wir haben eine Proporzregierung. D.h. es gibt eine Opposition in der Regierung, und das macht das Arbeiten extrem unentspannt (siehe KPÖ).

Vitus Mostdipfff: Wird das KPÖ bei den nächsten Wahlen in der Steiermark (Land, GR) ihr Ergebnis halten können oder weiter Stimmen verlieren?

Peter Hajek: Das wissen wir nicht. Kaltenegger hat sicher Chancen im Land, aber man muss neue Themen gewinnen. Graz 2013 ist zu weit weg.

Vanilleschote: Westenthaler hat gestern "im Zentrum" die Meinungsforscher und Politikwissenschafter kritisiert. Können Sie denn eigentlich neutral arbeiten, oder sind auch Meinungsforscher/Politologen zu einem gewissen Grad manipulierbar bzw. geben ihre eigene Mei

Peter Hajek: Schon Max Weber hat gesagt: Es gibt keine Objektivität. Messen wir die handelnden Personen einfach an ihren Aussagen und an der Stimmigkeit. Im Übrigen ist hier der Wunsch Vater des Gedanken. Denn den Politikern wäre es ganz recht, wenn diese Gruppe beeinflussbar wäre.

natan: Glauben Sie an einer (versteckten) Absicht vieler Medien,das gute Wahlresultat der FPÖ/BZÖ kleinzureden?

Peter Hajek: Das sehen FPÖ und BZÖ so. Ich kann das nicht sehen. Beim BZÖ sowieso nicht, und die FPÖ ist selbst daran schuld. Es wäre sicher mehr möglich gewesen.

Lord Fiddlebottom: kònnen sie sagen, ob sich wahlmotive in den letzten jahren verschoben haben? zb weg von sachthemen? zàhlt heute vielmehr, wie oft man in der wahrnehmung vorkommt als was man sagt? war das vor 30 jahren anders?

Peter Hajek: Was vor 30 Jahren anders war, der Stammwähleranteil war deutllich höher! Jeder Wahlgang ist aber einzigartig. Den Winter-Sager gibt es halt nur einmal.

asora1: Die ÖVP hat auch schon antiislamistische Äußerungen getätigt. Besteht die Gefahr, dass das in ZUkunft auch von seiter der ÖVP mehr wird?

Peter Hajek: Ich glaube, dass - außer bei den Grünen - bei allen Parteien solche Aussagen zu finden sind. Die Frage: Handelt es sich dabei um einen "Ausrutscher" oder steckt Kalkül dahinter.

asora1: ist der winter nun vorbei ;) ?

Peter Hajek: Diese Frage bitte an "Wetterfrosch" Strache weiterleiten ;-)

natan: Sind bestimmte Trends aus der grazer Wahl auch für die kommende in NÖ von Bedeutung?Was sollte die SPÖ zB ihrer Meinung nach jetzt tun?

Peter Hajek: Hier Trends abzuleiten wäre gänzlich falsch und würde nichts bringen. Die SPÖ hat aber auch in NÖ ein Problem mit der Spitzenkandidaten, das ist richtig. Hier wird es aber so knapp vor der Wahl keine Änderungen geben. Zudem ist das auch eine Frage der Alternative. Und: Siegfried Nagl ist nicht Erwin Pröll.

Anyuser: Macht es Ihnen eigentlich noch immer Spaß solche themen- und vernunftarmen Wahlkämpfe zu analysieren

Peter Hajek: :-))) manchmal wünscht man sich schon auf einer Insel, aber im Großen und Ganzen ist es trotzdem sehr interessant. Besonders im Langzeitvergleich. Man sieht wie sich die Gesellschaft verändert (hat). Und das sind auch wichtige Fragen für die Wirtschaft.

ModeratorIn: Herzlichen Dank an Peter Hajek für seinen Besuch und Dank den UserInnen für das rege Interesse. Die Diskussion kann natürlich im Forum weitergehen. Viel Spaß dabei.

Peter Hajek: Ich danke allen TeilnehmerInnen und LeserInnen! Hat sehr viel Spaß gemacht.