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Bobby Fischer (re.) und Boris Spasski am 31. August 1972 in Reykjavik. Spasski gab nach der 21. Partie auf, Fischer hatte sein Lebensziel erreicht.

Foto: AP/Green
Wien - Robert James Fischer war der erste Popstar unter den Schachspielern, eine Mischung aus Jim Morrison und Howard Hughes.

Früh hatte das am 9. März 1943 in Chicago geborene Schachgenie von sich reden gemacht. Nach der Übersiedlung nach Brooklyn wurde Fischer 1956 US-Jugendmeister. Die Partie des 13-Jährigen mit dem großartigen Damenopfer gegen den Großmeister Donald Byrne zählt zu den meistpublizierten der Welt. Bereits ein Jahr danach gewann er überlegen die Meisterschaft der Erwachsenen.

Die Schule brach Fischer früh ab - "etwas für Dummköpfe". Und er wurde 1958 im Interzonenturnier von Portoroz zum damals jüngsten Großmeister der Geschichte.

Die Schachwelt war damals fest in der Hand der Sowjets. Seit dem Zweiten Weltkrieg stammten alle Weltmeister aus der Sowjetunion, das rationale, auf wissenschaftlicher Grundlage betriebene Spiel passte sich ideal in die Sowjetideologie ein.

1962 griff Fischer beim Kandidatenturnier auf Curaçao erstmals nach der Krone. Er scheiterte an der Riege der sowjetischen Großmeister und beschuldigte sie - aus heutiger Sicht: zu Recht - der Absprache. Der KGB hatte die Gefahr, die von dem jungen Amerikaner ausging, erkannt. Sein Scheitern war für Fischer Quelle eines lebenslangen unversöhnlichen Hasses: "Eher sterben als gegen einen Russen verlieren", einer seiner typischen Interviewsätze.

Bald nahm Fischer mit unglaublicher Energie die Jagd nach dem WM-Titel auf. Im folgenden Zyklus der Kandidatenturniere schlug er den Dänen Bent Larsen und Mark Taimanov jeweils 6:0, ohne ein einziges Remis, und im Finale Tigran Petrosjan. Sieg gegen Spasski

1972 war sein Lebensziel beim WM-Match gegen Boris Spasski in Reykjavik erreicht. Nach der Aufgabe Spasskis in der 21. Partie war Fischer elfter Weltmeister, er hatte den Gegner förmlich zertrümmert.

Dass der Wettkampf überhaupt zustande kam, grenzte an ein Wunder. Immer neue Bedingungen hatte Fischer gestellt. Erst die Verdoppelung des Preisgeldes durch den englischen Millionär Jim Slater und ein Telefonanruf von US-Außenminister Henry Kissinger brachten Fischer in letzter Minute ans Schachbrett.

Es war eine politische Partie, die mitten im Kalten Krieg gespielt wurde. Fischer formulierte den amerikanischen Traum: Ein junger Mann aus Brooklyn zwingt im Alleingang kraft seiner Individualität, seines Ehrgeizes und seines Genies ein ganzes System in die Knie. Dabei - Treppenwitz der politischen Geschichte - verhielt es sich umgekehrt: Eher war Spasski ein Individualist, ein Bonvivant, der nicht gerne trainierte und auf stetem Kriegsfuß mit den Funktionären lebte.

Kurz danach verpuppte sich der amerikanische Traum zum Mythos: Fischer verschwand. Über 20 Jahre lang spielte er eine einzige seriöse Partie, 1975 trat er gegen Anatoli Karpow nicht an, der zum Weltmeister ernannt wurde.

Fischers Hass auf das Sowjetsystem transformierte sich in dieser Zeit in einen veritablen Antisemitismus und Antiamerikanismus. Er fühlte sich vom FBI verfolgt, trat in Pasadena der obskuren Sekte Church of God bei, emigrierte schließlich nach Europa. Nach Aufenthalten in Budapest und auf den Philippinen lebte er schließlich unerkannt in Japan. Noch einmal, im Jahr 1992, trat er, angelockt durch einige Dollarmillionen, im serbischen Sveti Stefan und in Belgrad gegen Boris Spasski an, noch einmal gewann er mit brillantem Spiel.

Dass ihm die US-Regierung ein Spielverbot wegen des Handelsembargos auferlegt hatte, störte Fischer nicht: Bei der Pressekonferenz spuckte er demonstrativ auf das Dokument. Seitdem lebte er auf der Flucht vor den amerikanischen Behörden. In Japan wurde er in Schubhaft genommen und stand kurz vor der Auslieferung an die USA, als ihn die rettende Einladung nach Island erreichte. Eine Uhr, ein Spiel Trotz aller Weltflucht, trotz aller Verschrobenheit blieb Fischer auch im Verborgenen nicht untätig: Er entwarf eine eigene elektronische Schachuhr, die heute bei allen internationalen Turnieren verwendet wird, und ein Schachspiel ("Fischer-Random"). Gespielt wird dabei natürlich nach seinen eigenen Regeln. (ruf & ehn - DER STANDARD PRINTAUSGABE 19.1. 2008)