Am Longfusi-Bauernmarkt mitten in Peking wird gefeilscht wie nie. Grund sind die nach oben galoppierenden Preise.

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"Guide budeliao." – Meine Güte, ist das teuer. Protestierend legt der 40-jährige Pekinger den Krautkopf, der sich von umgerechnet 14 auf 20 Cents pro Kilo verteuert hat, zurück. Ähnliche Szenen spielen sich auch nebenan bei den Ständen mit Obst, Gemüse, Fleisch und dutzenden Sorten von Nüssen und Knabbereien ab. Trotz minus vier Grad bietet der allmorgendlich geöffnete Bauernmarkt alles in Hülle und Fülle an: von frischen Melanzani bis Pilzen, von Radieschen bis Karfiol.

Hunderte Bauernmärkte in Peking sind ebenso wie in den anderen Städten Chinas gleich wie die verschwenderisch gefüllten Obst- und Gemüseabteilungen, Fleisch- und Fischtheken in den vielen Supermärkten der tägliche Nachweis, wie erfolgreich Chinas Wirtschaftsreformen waren. Und das in einem Land, in dem es vor 30 Jahren im Winter nur Berge erfrorener Krautköpfe und Porree gab.

Auf den Märkten machen sich jüngst chinesische Verbraucher entrüstet Luft. Überall schimpfen sie über die nahezu wöchentliche Verteuerung der Grundnahrungsmittel. 19 Yuan (1,80 Euro) soll sie für ein halbes Kilo Rippchen zahlen, stöhnt die Rentnerin Li Fang. "Vergangenen Sommer waren es nur 14 Yuan." Sie kauft allmorgendlich auf dem hunderte Meter langen Longfusi-Bauernmarkt mitten in der City ein. Von täglich sechs Uhr früh bis halb neun besetzt er eine Passage zwischen Hochhäusern und Boutiquen. Stunden später feilschen in derselben Shopping-Straße Touristen um Billigpreise für T-Shirts oder DVDs.

Neujahrsfest so teuer wie nie

Frühmorgens aber geht es für die Anwohner bei den Preisen nur nach oben. Dabei halten sie sich bei ihren Klagen noch zurück. Wer wie sie so zentral in Peking wohnt, gehört meist zur privilegierten Schicht von Bürgern mit hohen Renten oder guten Einkommen in einer Hauptstadt, in der im August die Olympischen Spiele beginnen.

Auf dem Longfusi-Markt sind die Spiele kein Thema. Alle reden nur über Kosten und das nahende chinesische Neujahrsfest, das am 6. Februar beginnt. Es wird so teuer wie nie werden. 14 statt zehn Yuan kostet ein halbes Kilo Fleischfülle für die Jiaozi, die Ravioli, die sie zum Frühlingsfest traditionell isst, klagt eine ehemalige Ärztin.

Inflation Chefsache

Tomaten haben sich mit vier Yuan pro Kilo im Preis verdoppelt, ebenso wie Fenchel und anderes Gemüse, die in die Ravioli gehören. Mehl stieg um ein Drittel. Einen Kilo Reis gibt es statt für 3,20 Yuan nun für 4,20 Yuan. Mit rund 2000 Yuan Rente kann sich die Ärztin Rindfleisch nicht mehr leisten, das auf gut 80 Yuan pro Kilo gestiegen ist.

Die Inflation sucht China wieder heim und weckt Erinnerungen an eine unselige Vergangenheit mit sozialen Unruhen, die politischen Umwälzungen vorausgingen. Sie erinnert auch an eine Zeit der Rationierungen und Knappheiten, die im neuen Wirtschaftswunderland als überwunden gelten.

Chefsache

Kein Wunder, dass Pekings Führer ihre Bekämpfung im Olympiajahr 2008 zur Chefsache gemacht haben. Bestärkt werden sie von Politologen und Ökonomen der Akademie für Sozialwissenschaften. Sie belegten mit landesweiten Umfragen, wie stark Teuerungsängste die chinesische Gesellschaft verunsichern. Diese Gefahr ist wieder Problem Nummer eins geworden, das die gesellschaftliche Stabilität stärker bedroht als das Gefälle zwischen Reich und Arm oder die krasse Korruption, sagt Chinas führender Sozialwissenschafter Li Peilin. Nach dem von ihm herausgegebenen Buch "2008 Blaubuch zur sozialen Lage" sorgen sich 66,5 Prozent der Städter und 57,5 Prozent der Bauern erstmals wieder vor allem über die Inflationsgefahren. Früher waren der Verlust des Arbeitsplatzes oder fehlende soziale Sicherheit wichtiger.

Um sechs Prozent stiegen die Verbraucherpreise in nur fünf Monaten seit August, der höchste Anstieg seit elf Jahren. Das hat Peking bewogen, planwirtschaftliche Notbremsen zu ziehen. In dieser Woche veröffentlichten die Tageszeitungen eine 16-Punkte-Verordnung, die der Preisspirale den Kampf ansagt.

Genehmigung für Preissteigerung

Die Direktiven kommen von Chinas Reform- und Entwicklungskommission (NDRC), einer einstigen Neugründung des alten Planungsministeriums. Sie verbieten bis auf Widerruf marktbeherrschenden Großunternehmen, ihre Preise für Nahrungsmittel wie Fastfood-Nudeln, Speiseöl, Milch- und Fleischprodukte sowie Petroleum nach Gutdünken festzusetzen.

Im ersten Schritt werden zwölf Fabrikanten genannt, darunter Monopolisten für Packerlsuppen wie "Ting Hsin" oder "Uni-President", Molkerei-Giganten wie "Yili" oder "Mengniu" und Unternehmen für Speiseöl und Fleischprodukte. Sie müssen Preissteigerungen zehn Tage vorab den Behörden anzeigen und genehmigen lassen.

Preiskontrollaktion

Auch Groß- und Einzelhändler, die Supermärkte und Lebensmittelketten beliefern, müssen Erhöhungen bis vier Prozent innerhalb von 24 Stunden anmelden. Bei sechs Prozent gilt eine Frist von zehn Tagen, bei zehn Prozent eine von einem Monat. Preistreibern drohen Geldbußen bis zu einer Millionen Yuan.

Es ist die größte Preiskontrollaktion seit 1993, als die Steigerungsrate zehn Prozent erreichte. Grundlage ist Chinas Preisgesetz, das Eingriffe des Staates zur Stabilisierung von Preisen für lebensnotwendige Produkte und Dienstleistungen erlaubt. Nahrungsmittel machen nur ein Drittel des Anstiegs im Warenkorb zur Inflationsmessung aus.

Auf dem Longfu-Markt in der chinesischen Hauptstadt reagieren die Händler nur mit Achselzucken auf die Muskelspiele der Pekinger Preisbehörden. Der kleine Morgenmarkt für frisches Gemüse, einer von vielen hundert in Peking, ist davon nur indirekt betroffen. Wenn Waren knapp werden, werden sie eben teuer, sagt der Nussverkäufer Wang, der seine Hasel- und Walnüsse aus dem tausend Kilometer entfernten Nordostchina bezieht. Seine Kosten steigen ständig. Für eine Tonne Nüsse zahle er – statt wie vor einem Jahr noch 1500 Yuan – heute 3500 Yuan allein an Fracht- und Transportkosten. „Alles wird teurer. Am Ende auch meine Nüsse." (Johnny Erling aus Peking, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19./20.1.2008)