Bis an die Grenzen der Zumutbarkeit: Ian Curtis (Sam Riley) hat auf offener Bühne einen epileptischen Anfall.

Foto: Polyfilm

Wien – Das Ende ist bekannt. Am 18. Mai 1980 nimmt sich der erst 23-jährige Ian Curtis, Frontman von Joy Division, das Leben. Eine lange Nacht geht seinem Tod voraus. Allein in seiner Wohnung in Manchester schüttet er sich mit Alkohol zu, sieht sich noch "Stroszek" von Werner Herzog, ein düsteres Werk seines Lieblingsregisseurs, im Fernsehen an und erhängt sich schließlich an einer Wäscheleine. Curtis hatte schon einen Selbstmordversuch hinter sich. Das zweite – und letzte – Album der Band, "Closer", gibt beredt Auskunft vom sich verdunkelnden Seelenzustand des Sängers, der an Epilepsie litt und deshalb starke Medikamente einnehmen musste.

Der Film "Control", in dem sich der berühmte niederländische Rockfotograf und Videoregisseur Anton Corbijn der kurzen, aber umso einflussreicheren Karriere von Curtis widmet, läuft geradezu schicksalhaft auf diesen tragischen Abschluss zu. Musik und Leben gehören hier zusammen, sie werden zum Ausdruck vom Nichtzurandekommen mit sich selbst. Das wirkt authentisch, lässt solche Positionen aber auch auch angreifbar erscheinen, weil sie zur mythomanischen Verklärung tendieren.

"Control" ist dennoch kein herkömmliches Bio-Pic geworden – und auch nicht das Stationendrama einer Band, die sich in kurzer Zeit mit einem unverwechselbaren Stil in der britischen Postpunkszene etabliert hatte. Und das, obwohl der Film auf die Person Curtis (verkörpert vom charismatischen Newcomer Sam Riley) fokussiert und auf die Verbindung von Biografie und kreativem Ausdruck beharrt.

Anton Corbijns Zugang bleibt eher der des kunstsinnigen Fotografen, gemischt mit der obsessiven Neigung eines Fans: Er will der Band, die er selbst sehr verehrt, einen Tempel errichten. Schließlich standen Aufnahmen von Joy Division auch am Beginn seiner eigenen Laufbahn. Weniger die innere Dynamik im Miteinander der Gruppe und der kreative Prozess spielen die Hauptrolle, als die Existenzweise Curtis', der mit seiner Jugendliebe und späteren Frau Debbie (Samantha Morton) – auf ihrem Buch basiert der Film – noch als Rockstar ein ganz bürgerliches Dasein führte. "Existence – what does it matter?" – tönt es leitmotivisch gleich zu Beginn.

Zerrissener Star

Curtis, der in einem Arbeitsamt sein Brot verdient, der heiratet und Vater wird, parallel dazu aber auf der Bühne zum ekstatischen Schmerzensmann und Vorbild einer resignativen Jugend wird: Das ergäbe genügend Reibungsflächen für einen Film. Doch Corbijn lotet sie nicht aus. Er porträtiert den Künstler lieber als waidwunden Gefühlsmenschen, der der Kluft zwischen den Erfordernissen des Alltags und dem wachsenden Ruhm eines Rockstars nicht gewachsen ist; der von seiner Krankheit zermürbt wird und heimlich weint.

Diese doch etwa flache Ansicht auf Curtis löst die Ambivalenzen der Band – etwa ihre wiederholte Anknüpfung an die Ikonografie Hitlerdeutschlands – zu wenig ein und verkürzt das Phänomen Joy Division zum individualpsychologischen Ausdrucksorgan. Curtis schreibt die berühmte Nummer "She's Lost Control", nachdem er das erste Mal einen epileptischen Anfall miterlebt. Seine Affäre mit der belgischen Reporterin Annik (Alexandra Maria Lara) und die folgenden Eheprobleme werden zur unerschöpflichen Inspirationsquelle für weitere Songs. Das mag alles stimmen, erklärt aber nicht, warum Joy Division, wie der Journalist Simon Reynolds schreibt, die Malaise Englands in den späten 70er-Jahren wie ein Prisma wiedergeben konnte.

Interessant an "Control" bleibt immerhin die Faszination Corbijns für die Wiederherstellung eines Looks, der bis ins Detail authentisch sein möchte. Besonders bei den eindrucksvollen Live-Auftritten der Band, die von den Darstellern selbst eingespielt wurden, hat man hart daran gearbeitet, dass alles wie beim Original aussieht.

Die Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Kameramann Martin Ruhe mögen stilisiert wie aus einem Coffeetable-Book wirken, sie rekonstruieren aber auch präzise Zeitkolorit und Atmosphären, oft eng an den fotografischen Vorlagen. Als Auseinandersetzung mit Joy Division überzeugt "Control" zwar nicht – dafür bleibt seine Schönheit letztlich zu vordergründig. Aber er mag zumindest eine Ahnung der Aura dieser Band in ein neues Zeitalter hinüberretten. (Dominik Kamalzadeh / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17.1.2008)