Foto: DER STANDARD/Robert Newald

Im Museum des Hauses der Mathematik finden sich "Gustostückerln" von der ersten Rechenmaschine bis zum kleinsten Taschenrechner. Die Ballerinen im "Spielkasino" des Hauses der Mathematik: Über sechzig Spiele machen abstrakte Formeln vorstellbar.

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Auch Schüler können hautnah die Magie von Ziffern und Formeln erleben - so wie die Eleven der Ballettschule der Staatsoper.

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"Ihr tanzt im ersten Bezirk in der Staatsoper, geht im dritten Bezirk zur Schule in der Boerhaavegasse, heute, am 12. 1., sind wir im vierten Bezirk im Haus der Mathematik", zählte Gerhard Lindbichler den dreizehn elfjährigen Jungtänzern der Ballettschule der Wiener Staatsoper auf. Denn: "Alles ist Mathematik."

Die folgende zweistündige spielerische Exkursion durch die Welt der Mathematik begann Lindbichler, Gründer und Leiter des Hauses der Mathematik, mit einer Aufwärmübung - die auch vor dem Tanzen unabdingbar wäre. Seine Assistentin Christina Steffan, die - neben Französisch und Internationaler Betriebswirtschaftslehre - Mathematik studiert, hat dafür eine rote und eine blaue Leuchtstoffröhre vorbereitet. Nachdem man sich darauf geeinigt hatte, dass es sich dabei um Strecken und nicht um Geraden handelte - da die Röhren einen Anfang und ein Ende haben -, lernten die Eleven durch Verkippung der Röhren die drei geometrischen Eigenschaften von zwei Strecken kennen: "parallel", "schneidend" und "windschief".

Danach stand "Wetten, dass ...?" auf dem Programm: "Wetten, dass ich ein Zauberer bin und anhand von Gehirnströmen herausfinden kann, wie alt dein Vater ist?", fragte Lindbichler eine junge Ballerina. Während Lindbichler den Raum verließ, erfuhren die anderen das Alter. "Um die Gehirnströme in Gang zu bringen", bat der Mathematiker anschließend um etwas Hilfe und verteilte Zettel mit aufsteigenden Zahlenreihen, die mit unterschiedlichen Ziffern begannen. Bevor er die Zettel, ohne sie anzusehen, wieder einsammelte, fragte er jeden, ob sein Zettel das Alter enthielt oder nicht. Prompt verkündete Lindbichler: "Dein Vater ist 44 Jahre alt."

Der Trick beruht auf Binärzahlen und dem Dualsystem, erklärte der ehemalige Mathe-Professor anschließend. Die linke obere Zahl der Karten, die er austeilte, ist eine der Potenzen von zwei, also 1, 2, 4, 8, 16, 32, 64. Durch das Gegenlicht kann er diese Zahlen sehen - jede Zahl lässt sich im Dualsystem durch diese Potenzen ausdrücken, zum Beispiel "44 = 32 + 8 + 4". Im Schnelldurchlauf lernten die Kinder potenzieren sowie das "Vieren-Spiel", bei dem es darum ging, jede Zahl durch Addition, Subtraktion, Multiplikation, Division und Potenz mit vier Vieren darzustellen, zum Beispiel: "7 = 4 + 4 - 4 : 4" - und bewiesen rasch, dass künstlerisches Talent und Begeisterung für Mathematik keineswegs ein Widerspruch sein muss.

Schnelles Lernen im Spiel

Die nächste Station glich einem Spielkasino: Ein Raum mit über 60 Spielen bot die Möglichkeit, sich hautnah der Mathematik zu nähern. Die meisten davon hat Lindbichler selbst erfunden. So gab es hier neben wenigen bekannten Spielen wie "Vier gewinnt" vor allem Neues zu entdecken wie das "Ei des Kolumbus" oder das "Pentagon-Pentagramm". Die Schüler konnten hier ihr räumliches Vorstellungsvermögen testen und trainieren, genauso wie abstrakte Sätze der Mathematik wie den Pythagoräischen Lehrsatz oder die Binomische Formel greifbar machen.

Während sich die Kinder auf die Zahlenspiele stürzten, betonte Lindbichler, dass das Haus der Mathematik nicht nur eine Spielwiese sei: Im Museumstrakt finden sich zahlreiche "Gustostückerln" für Wissenschafter, wie die 60-jährige erste Universalrechenmaschine "Curta" von Curt Herzstark, Dokumente und Aufzeichnungen des renommierten und 2002 verstorbenen österreichischen Mathematikers Leopold Vietoris oder der kleinste Taschenrechner der Welt.

Nach der Museumsführung erwartete die Eleven zum Abschluss eine weitere Attraktion: In einem Graphen konnten die Schüler "live" das weltweite Bevölkerungswachstum mitverfolgen. Das eigens geschriebene Programm wird jede Woche mit den aktuellen UNO-Daten gefüttert und rechnet im 30-Sekunden-Takt die Bevölkerungsentwicklung hoch. Deutlich war im Graphen der rasante Zuwachs zu sehen: Gestartet bei 6.654.451.457, hielt man eine Minute später schon bei 6.654.451.622 Erdbewohnern.

Im heurigen Weltjahr der Mathematik müsse auch darauf hingewiesen werden, dass sich Österreich mit vielen Mathematikern von Weltrang rühmen könne, "die teilweise so berühmt sind, dass sie im Ausland arbeiten", erläuterte Lindbichler den Nachwuchsballetttänzern.

Lindbichler selbst unterrichtete 31 Jahre lang an einer Pädagogischen Akademie, wo er rund 1000 Lehrer ausbildete. Doch auch nachdem er in Pension gegangen war, konnte er nicht von der Wissenschaft der Zahlen lassen und gründete das Haus der Mathematik. Besucht wird das Haus, das vom Stadtschulrat, vom Zentrum für Innovation und Technologie (ZIT) und vom Wissenschaftsministerium unterstützt wird, vor allem von Schülern und Studenten. Heuer feiert es seinen fünften Geburtstag. (Tanja Traxler/DER STANDARD, Printausgabe, 16.1.2008)