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Josef Kalina stellt sich der protestierenden Parteijugend.

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Gusenbauer bei seiner Rede in der Hofburg.

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Josef Kalina und Josef Cap stecken die Köpfe zusammen.

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Unter dem Titel „Politik mit einer sozialen Handschrift“ versuchte der Kanzler aber, eine Wende von der Wende zu skizzieren.

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Wien – „Niemand hat das Recht, Angehörige einer Religionsgemeinschaft pauschal zu verunglimpfen, zu beschimpfen oder zu beleidigen“: Für diese – an sich selbstverständliche – Aussage erntete Alfred Gusenbauer den meisten Applaus. Die islamfeindlichen Tiraden der FPÖ-Politikerin Susanne Winter haben auch den Nerv der in der Mehrzahl sozialdemokratischen Gäste im Redoutensaal der Hofburg getroffen, die am Dienstagvormittag der Rede „ihres“ Kanzlers an die Nation lauschten.

Seitenhieb auf die ÖVP

Namen von Parteien oder gar Politikern nimmt Gusenbauer – ganz Regierungschef, der über den Dingen steht – aber nicht in den Mund. Auch nicht, als er für das Jubiläumsjahr 2008 einmahnt, „keinen Schlussstrich“ unter die „Vergangenheit des Faschismus und Nationalsozialismus“ zu ziehen: „Für mich ist in diesem Zusammenhang unverständlich, warum viele gesellschaftliche und politische Institutionen immer noch zögern, die eigene Geschichte aufzuarbeiten oder aufarbeiten zu lassen.“ Ein Seitenhieb auf die ÖVP, die im Gegensatz zur SPÖ keinen „Braune Flecken“-Bericht zur eigenen NS-Geschichte vorgelegt hat.

Salomonisch an SPÖ und ÖVP wandte sich Gusenbauer, als er die Reibereien in der Koalition ansprach: „Die Erfolge wurden kleingeredet, noch öfter kleingestritten.“ Und: „Beide Parteien müssen jeden Tag beweisen, dass man sie zu Recht ,staatstragend‘ nennt. Beide Parteien müssen jeden Tag beweisen, dass zuerst unser Land zählt, und erst dann die Partei.“

Während die protestierende SPÖ-Jugend ihren Parteichef auf Flugblättern bereits als „Schüssel II“ bezeichnet, versuchte Gusenbauer im zweiten, mehr von der Tagespolitik geprägten Teil seiner Rede, sich stärker von der ÖVP abzugrenzen. Die sieben Jahre währende schwarz-blaue „Konfliktdemokratie“ erklärt er zum atypischen Intermezzo, das hiermit beendet sei. „Mein Verständnis von Politik ist ein kooperatives“, stellte der Kanzler klar und hob zu ausgiebigem Lob für die Sozialpartner an: „Die Hand auszustrecken – das ist der österreichische Weg.“

Auf seinem Weg zu bewältigen hat der Regierungschef in den nächsten drei Jahren eine Steuerreform – und dabei will er in eine andere Richtung als der Koalitionspartner. „Die Steuerreform (...) soll vor allem all jenen die Lasten nehmen, die über die Jahre immer mehr schultern mussten – den kleineren Einkommensbeziehern und dem Mittelstand“, so die Vorgabe: „An sie denken wir, nicht an einige ganz oben, die von einer Absenkung des Spitzensteuersatzes am meisten profitieren.“

Gusenbauer gab zu bedenken, dass „bei anderen Einkommensarten große Lücken“ bestünden – was als leises Plädoyer für Steuern auf Vermögen interpretiert werden kann. Und auch das ÖVP-Reizthema Umverteilung griff der SPÖ-Chef auf und prangerte an, dass Topverdiener „das Hundertfache“ der Arbeiter und Angestellten verdienten: „Gute Wirtschaftsdaten, Spitzenplätze in internationalen Rankings und Statistiken sind die eine Seite der Medaille. Aber wenn die Österreicher nicht unmittelbar bemerken, dass es ihnen besser geht, dann stimmt etwas bei der Verteilung nicht.“

„Das ist meine Vorstellung von einem neuen sozialen Österreich. Sozial, gerecht und sicher.“ Mit diesem, in gehobener Lautstärke vorgetragenen Mantra beendete Gusenbauer jedes Kapitel seiner Bilanz. Die Mindestsicherung und die Pensionserhöhung, die Schulreform und die Ausbildungsgarantie pries der Kanzler an – und ließ doch Lücken offen. Sowohl in der Rede, als auch im Einstimmungsfilmchen davor fehlten vermeintliche Erfolge, auf die die SPÖ offenbar doch nicht so stolz ist. Etwa Gusenbauers Ersatzdienst für die Studiengebühren. Und die Eurofighter. (Gerald John/DER STANDARD, Printausgabe, 16.1.2008)