Wilfired Härtel verbringt die meiste Zeit auf dem Dach. Hier ist das "Mädchen für alles" als DJ im Einsatz.

Foto:Aigner

Der Kreiswalzer: eine Wiener Originalität.

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Wien – Kunsteisbahn im zweiten Stock steht auf einem Schild in der Seyringgasse. Mit dem Lift, in eisigem Blau gehalten, geht es nach oben. Der wohl allen bekannte, zum Gruppentanz zwingende Song, Maria Magdalena dringt bereits durch die halb geöffnete Lifttür. Zwei Eintrittskreuze und ein Gitter versperren den Weg ins Freie und zwingen zu einem kurzen Boxenstopp an der Kasse. Sieben Euro für Erwachsene und die Hälfte für ein Kind sind bei der Dame hinter der Plexiglasscheibe mit der typischen Sprechöffnung abzuliefern. Wir sind beim Engelmann, der legendären Eiskunstbahn über den Dächern Wiens.

Es ist Sonntag Vormittag und Betriebsleiter Wilfried Härtel hat sich hinter das DJ-Pult geklemmt. Sein Auftrag: Musik für die Tänzer. Walzer, Tango oder auch Märsche sind da gefragt. Hin und wieder streut das „Mädchen für Alles“, wie er sich gern selbst bezeichnet, „Ein Stern“ von DJ Ötzi oder „Du hast mich Tausendmal betrogen“ von Claudia Jung ein. Hits, die zur Zeit gern gehört werden. Ein Teil der 2780 Quadratmeter großen Eisfläche, von der ein Turm des Allgemeinen Krankhaus zu sehen ist, auch eine Kirche lugt zwischen den Dächern hervor, ist nämlich für die Rund-Tänzer reserviert. Und die mögen es eher gemütlich.

Wiener Tradition

Rund-Tanzen ist eine Wiener Einzigartigkeit und hat lange Tradition. Frau Grete vom Engelmann, eine Institution, betreibt das Tanzen auf dem Eis seit ihrer Kindheit hier. In den 40er Jahren legte sie sogar die eine oder andere Tanznummer mit dem erfolgreichsten Eisläufer aller Zeiten Karl Schäfer aufs Eis. Zu dieser Zeit seien am Wochenende 20 Paare im flotten Tempo unterwegs gewesen. Heute gäbe es vor allem sehr wenige Herren, die dem Rund-Tanzen fröhnen würden. „ Die Herren sind fast schon alle gestorben und männlichen Nachwuchs gibt es kaum. Und wenn dann einer kommt, hat er die Partner meist schon dabei", klagt Frau Grete. Zeit ihres Lebens habe sie immer mit älteren Herren tanzen müssen, aber so rar wären Tanzpartner noch nie gewesen. Und ab geht’s wieder zu Kreiswalzer und Kilian, einer Menschenkette, die sich im Kreise dreht.

Eispause. Es ist Zeit für einen kurzen Besuch im Restaurant Engelmann, dass der Kärntner Sepp Gugganig „mit vier G“ betreibt. Seine Söhne sind beim Verein große Nachwuchshoffnungen im Eiskunstlauf und brillieren schon auf internationalem Parkett. Kulinarisch bietet er mit seinem Team eine vollständige Speisekarte mit leicht italienischem Einschlag. Das Restaurant mit seiner hellen Einrichtung bietet viel Platz und erstaunlich gute Luft. Dicke silberne Entlüftungsrohre verrichten ihre Arbeit bestens. Auch die Preise sind so gestaltet, dass jedes Familiemitglied vom eigenen Teller speisen kann. Draußen hat wieder die Musik begonnen, ab jetzt wird Poplärmusik gespielt. Hits der vergangenen Jahre laden zum übers Eis gleiten ein.

Verantwortung

Während dessen steigt Betriebsleiter Wilfried Härtel vom Eisaufbereitungswagen und geht wieder in die die DJ-Box. Von dort hat er einen guten Überblick über die Eisfläche, den zu seinen Aufgaben zählt die Aufsicht und die Erstversorgung. „Die schon wieder“, entfährt es ihm nach einem Sturz eines Mädchens, „die müssen wir jedes Jahr zusammenflicken. Letzte Saison mussten wir sie einmal mit der Rettung abtransportieren lassen.“ Dieses Mal steht sie aber schon wieder. Punkto Sicherheit meint er, könne er die Leute eh nur gut beraten. Ob jemand Helm und Handschuhe trage, könne er nicht beeinflussen.

Für jüngere Leute bietet der Verein am Freitag eine Disco von 19:00 bis 21:30 Uhr an. Die Musikauswahl ist dann Ausnahmsweise kein Job für Härtel. Zu Techno, Hip-Hop kommen „viele junge Leute, die in die Disco gehen wollen, aber noch nicht dürfen“, sagt er mit einem schmunzeln. Aufpassen muss er trotzdem, dass die verschieden färbigen Punschhäferl, mit und ohne Alkohol nicht die Besitzerwechseln.

Eine Weltneuheit

Die Anfänge der Eisbahn in Hernals gehen bis ins 19. Jahrhundert zurück. 1871 stellte der Bezirkshauptmann der Wachstuchfabrik Engelmann einen Gewerbeschein für das Betreiben einer Eisbahn im Hausgarten aus. 1909 machte dann Oberbaurat Ing. Eduard Engelmann mit der Schaffung einer Freiluft-Kunsteisbahn eine weltweit bahnbrechende Erfindung. "Durch Kunsteis zur Eiskunst" war das Motto, das eine unglaubliche Entwicklung einleitete, die Österreich in der Folge viele Olympiasieger, Welt- und Europameister brachte. 1972 wurde die stark renovierungsbedürftige Anlage durch die heutige auf dem Dach ersetzt. Seit 27 Jahren leitet nun Härtel den Betrieb, der wie eine große Familie ist. Denn nur wenn man sich auf die Leute verlassen könne, würde es funktioneren. Aber dann „ist es wie eine Sucht.“ (Alexander Aigner, derStandard.at)