José Sócrates wird ein Gespenst, das er selbst herbeibeschworen hat, nicht so einfach los. Portugals heutiger Regierungschef hatte vor dem Sieg seines Partido Socialista (PS) bei der Parlamentswahl 2005 ein Referendum über den – wenig später in Frankreich und den Niederlanden niedergestimmten – Vertrag für die EU-Verfassung versprochen. Von einem Volksentscheid über den "Vertrag von Lissabon", Trophäe seines EU-Vorsitzes, will er nun aber nichts wissen. Verfassung und Reformvertrag seien verschiedene Dinge.

Monatelang hatte sich Sócrates vor klaren Aussagen über den Weg zur Ratifizierung des Reformvertrages gedrückt. Am Mittwoch bestätigte er endlich, was alle ahnten, und kündigte die Ratifizierung durch das Parlament an, obwohl am Ja-Votum des Volkes kaum ein Zweifel bestünde.

Druck von den EU-Partnern

Sócrates verwies auf einen "breiten Konsens" in der Gesellschaft über das "europäische Projekt". Zudem wollte er die Legitimität der parlamentarischen Ratifizierung des EU-Vertrages in anderen Ländern nicht infrage stellen. Er sprach von einer freien Entscheidung seiner Regierung, nachdem Zeitungen über Druck aus Berlin, Paris und London gegen ein Referendum in Portugal berichtet hatten. Zu Beginn dieser Woche hatte Sloweniens Regierungschef Jansa als EU-Ratsvorsitzender hiervon abgeraten.

Als größte Oppositionspartei war der bürgerliche "Partido Social Democrata" zuvor von seiner alten Forderung nach einem Referendum abgerückt. Dafür plädierten bis zuletzt der konservative "Partido Popular", der den Vertrag akzeptiert, sowie Kommunisten und Linksblock, die ihn ablehnen und dem Premier den Bruch eines Versprechens vorwerfen. Der Linksblock plant deshalb einen Misstrauensantrag gegen Sócrates für 16. Januar. Seine Aussicht auf Erfolg ist wegen der absoluten PS-Mehrheit aber gleich null. (Thomas Fischer aus Lissabon/DER STANDARD, Printausgabe, 12./13.1.2008)