Klagenfurt – Kultur als letzter Rettungsanker inmitten einer völlig entmenschlichten Welt, gleichsam als Meta-Ebene über der realen Existenz: Das war der nahezu zynische Versuch, den Gräueln der nationalsozialistischen Ausrottungsideologie geistigen Widerstand zu leisten. Zahlreiche erschütternde Dokumente belegen den Überlebenskampf.

Der tschechische Journalist und Überlebende aus Dachau, Ludvík Henych, berichtet von Theaterstücken bis hin zum Kabarett, der Komponist Viktor Ullmann praktizierte seine musikpädagogischen Strategien in Theresienstadt, die "Bewohner" des Wilnaer Ghettos etablierten ein Theater inmitten des Wahnsinns: 1941 wurde Jacob Gens zum willfährigen Leiter der jüdischen "Polizei" bestimmt, ein Jahr später zum Gesamtleiter des Ghettos.

Joshua Sobol analysiert in seinem Stück die zwiespältige Position des Juden und Kollaborateurs, das verzweifelte Arrangement mit seinen Peinigern, die Tragik des Verlusts von Würde und Selbstachtung: Von Teilen seiner Landsleute kritisiert ("Auf dem Friedhof spielt man kein Theater!"), schuf Sobol ein inzwischen zu Berühmtheit gelangtes Schauspiel voll Tragik und absurder Komik.

Der Autor selbst führt im Stadttheater Klagenfurt Regie und entfesselt ein an Spannung kaum zu überbietendes Lehrstück zeitgeschichtlichen Theaters: Ein höchst motiviertes Ensemble spielt sich die Seele aus dem Leib, verstörend präzise Tanzszenen (Choreografie: Ricarda Regina Ludigkeit), umwerfende Revueauftritte und Klezmermusik (musikalische Leitung: Jeff Frohner) vermitteln beängstigende Authentizität.

Roman Schmelzer brilliert als Theaterdirektor und Puppenspieler (großartig seine "Marionette" Lydia Nassall). Jens Schnarre verkörpert den SS-Mann Kittel in atemberaubender Manier, unberechenbar, gekonnt an der Grenze zum Wahnsinn balancierend. Der inmitten des Elends geschäftetreibende "Klischee"-Jude findet in Maximilian Hilbrand eine überzeugende Verkörperung!

Karola Niederhuber besticht als charismatische Sängerin gleichermaßen wie als gepeinigtes Opfer. Das Bühnenbild Edna Sobols verzichtet auf grelle Effekte; behutsam, aber eindringlich visualisiert sie das Unfassbare.

Auf demselben Niveau agieren die Musiker, egal ob "jiddisch" oder "jazzig". Mit atemberaubender Intensität führt die Handlung zur Klimax des Verbrechens, der Liquidation des Ghettos. Großes Theater in der "Provinz". (Bernhard Bayer, DER STANDARD/Printausgabe, 11./12.01.2008)