Berlin - Der hessische Ministerpräsident Roland Koch hat eine Ausweitung des Strafrechts auf Kinder unter 14 Jahren vorgeschlagen und damit den Streit in der deutschen Regierungskoalition über Jugendkriminalität weiter angeheizt. Der Vorstoß richte sich gegen "eine sehr aggressive Kriminalität einer sehr kleinen Gruppe" von Kindern, die bisher als strafunmündig gelten, sagte der CDU-Politiker am Wochenende. Die SPD reagierte empört. "Dieser Mensch dreht nun völlig durch", sagte Innenexperte Dieter Wiefelspütz zu dem Koch-Vorschlag.

Schon zuvor war der Streit zwischen Union und SPD mit immer heftigeren gegenseitigen Attacken eskaliert. SPD-Fraktionschef Peter Struck hatte Koch am Freitag vorgeworfen, er habe sich über den brutalen Überfall in der Münchner U-Bahn im Dezember als Wahlkampfthema gefreut. Der deutsche Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) sagte deshalb, Struck sei seines Amtes unwürdig.

Merkel mahnt zur Mäßigung

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mahnte zur Mäßigung und appellierte an SPD-Chef Kurt Beck, wieder "Vernunft einkehren zu lassen". Unionsfraktionschef Volker Kauder äußerte sich besorgt über den Zustand der Koalition. Beck sagte aber, er sehe zum Zurückrudern keinen Anlass, und die Koalition sei arbeitsfähig.

Am Sonntag legte der SPD-Politiker Sebastian Edathy, Vorsitzender des Bundestags-Innenausschusses, nach. Laut einer Meldung der "tageszeitung" sagte der SPD-Politiker: "Ich bin fassungslos darüber, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel sich dem ausländerfeindlich geprägten Treiben des hessischen Ministerpräsidenten nicht etwa in den Weg stellt, sondern ihn auch noch unterstützt. So ein Verhalten ist einer deutschen Regierungschefin nicht würdig."

Koch bleibt dabei: Jugendstrafrecht für Kinder

Koch sagte dagegen, die Sozialdemokraten seien von Panik getrieben: "Da wird nur noch zwischen Fälschung und Beleidigung agiert." In der "Bild am Sonntag" ergänzte der CDU-Politiker seine Vorschläge zum Kampf gegen Jugendkriminalität. "Wir wollen keine Schnellschüsse", sagte er zwar. In Ausnahmefällen hielte er es aber für sinnvoll, Elemente des Jugendstrafrechts schon für Kinder unter 14 Jahre einzusetzen. Denkbar sei auch die striktere Entziehung des Sorgerechts durch die Jugendbehörden.

Der SPD-Politiker Wiefelspütz wies den Vorstoß mit scharfen Worten zurück. "Jeden Tag kommt er mit neuen Unsäglichkeiten, und jeden Tag werden seine Vorschläge schlimmer", sagte er laut "Thüringer Allgemeine" (Montag-Ausgabe) zu den Koch-Äußerungen. An sich sei eine Debatte über jugendliche Straftäter sinnvoll. Aber sie müsse ernsthaft und seriös geführt werden. "Kinder gehören erzogen, nicht hinter Gitter", sagte Wiefelspütz.

FDP: "Grotesk"

Auch die FDP, möglicher Koalitionspartner für Koch, nannte den Vorschlag grotesk. Für Kinder unter 14 Jahren müssten vielmehr die Instrumente der Kinder- und Jugendhilfe genutzt und notfalls Kinder in geschlossene Heime eingewiesen werden, erklärte Generalsekretär Dirk Niebel. Auch die Grünen kritisierten Kochs Vorschläge. Der bayrische Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU) stellte sich hingegen hinter Koch. Beckstein will laut "Passauer Neuen Presse" am Montag ein eigenes Sicherheitskonzept vorstellen.

Kauder kündigte in der Berliner "B.Z. am Sonntag" an, die Union werde diese Woche mit der SPD auf Fraktionsebene über ihre Vorschläge zum Thema Jugendgewalt reden. "Wir fordern konkret Warnarrest, Erziehungscamps und die Anwendung des Erwachsenen-Strafrechts im Regelfall für Menschen über 18 Jahre." Wiefelspütz zeigte sich im "Focus" offen für Gespräche mit der Union zur Jugendgewalt - nur müssten die "nach dem Pulverdampf des Wahlkampfs" stattfinden.

In den deutschen Bundesländern Niedersachsen und Hessen finden am 27. Jänner Landtagswahlen statt. In Hamburg wird am 24. Februar die Bürgerschaft neu gewählt. (APA/AP/dpa)